Präventive Angriffsarmee zur Sicherung privater Wirtschaftsinteressen

Das neue Weissbuch zur Zukunft der Bundeswehr

von Karl Müller, Deutschland

Die Bundesrepublik Deutschland ist seit 1955 Mitglied der Nato. Nach heftigen Debatten in Deutschland und vor allem auf Drängen der US-Regierung hatte die damalige deutsche Regierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer eine Mitgliedschaft der Bundesrepublik in der Nato durchgesetzt.
Die Nato war 1949 als Instrument des kalten Krieges gegründet worden, die Führung der Nato lag, trotz formaler Gleichberechtigung der Mitgliedstaaten im Nato-Rat, bei der US-Regierung und deren Militärs. Immerhin bekannte sich die Nato in ihrem «Nordatlantikvertrag» von 1949 mit Artikel 1 zur Friedenspflicht: «Die Parteien verpflichten sich, in Übereinstimmung mit der Satzung der Vereinten Nationen, jeden internationalen Streitfall, an dem sie beteiligt sind, auf friedlichem Weg so zu regeln, dass der internationale Friede, die Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden, und sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind.»
Artikel 5 des Vertrages verpflichtete die Mitgliedstaaten lediglich im Falle eines bewaffneten Angriffes zum gegenseitigen Beistand, allerdings auch hier nur im Rahmen von Artikel 51 der Uno-Charta, also eines begrenzten Selbstverteidigungsrechtes. Diesen Bündnisfall hat die Nato in der Zeit des kalten Krieges niemals erklärt, und die Bundeswehr war anerkanntermassen eine «Abschreckungsarmee» .. eine Armee, die alleine dazu dienen sollte, einen Krieg zu verhindern. Denn auch mit einer Armee war allen Verantwortlichen klar, dass nach den Schrecken der Weltkriege und mit den verheerenden Waffen des 20. Jahrhunderts ein Krieg nicht mehr führbar ist und heute jeder Krieg gegen das Humanitäre Völkerrecht verstösst. Diesen Konsens trugen fast alle europäischen Staaten bis zum Ende des kalten Krieges.
Aber schon Anfang 1992 preschte der damalige deutsche Verteidigungsminister Volker Rühe (CDU) in einem Interview mit dem Spiegel auch öffentlich vor, man müsse die Deutschen Schritt für Schritt auf Kampfeinsätze der Bundeswehr vorbereiten.

1992: Deutsche Öffentlichkeit wird Schritt für Schritt auf Kampfeinsätze der Bundeswehr vorbereitet

Der Grünen-Politiker Winfried Nachtwei sprach damals von einer Salamitaktik hin zu deutschen Kriegseinsätzen. Schon kurz nach dem Ende der Sowjetunion hatte der damalige US-Präsident Bush, Vater des heutigen Präsidenten, von einer «neuen Weltordnung» gesprochen, und ein erster Schritt zu dieser neuen Weltordnung war der Golf-Krieg Anfang 1991, den die USA mit Lügen begründeten und mit aller Brutalität führten .. nicht, um Kuwait von der irakischen Besetzung zu befreien, sondern um den Irak weitgehend zu zerstören und eine eigenständige Regionalmacht im rohstoffreichen und geostrategisch enorm wichtigen Nahen Osten auszuschalten. Eine Macht, die man zuvor jahrelang in einem gegenseitigen Zermürbungskrieg gegen den Iran je nach Bedarf massiv unterstützt hatte.
1991 war auch das erste Jahr mit einem deutschen Militäreinsatz, der nichts mehr mit humanitärer Hilfe zu tun hatte. Nur für solche Zwecke hatte es in den Jahrzehnten zuvor deutsche Auslandeinsätze gegeben. Obwohl die Türkei durch den Irak nicht bedroht war, schickte Deutschland im Januar 1991 18 Kampfflugzeuge und mehr als 200 Soldaten in die Türkei und im März 1991 Minensuchboote (7 Schiffe und rund 350 Soldaten) im Rahmen der US-geführten «Operation Südflanke» in den Persischen Golf.
Schon die «verteidigungspolitischen Richtlinien» von 1992 veränderten den Auftrag der Bundeswehr entgegen den Bestimmungen des deutschen Grundgesetzes. Der bisherige Verteidigungsauftrag wurde nicht mehr als alleiniges Ziel formuliert, sondern es hiess erstmals, die Bundeswehr sei auch für die Kontrolle der Rohstoffzufuhr einzusetzen und müsse gegebenenfalls bei internationalen Krisen intervenieren, also auch Krieg führen.

Die neue Nato-Doktrin von 1999 .. Bruch mit dem Völkerrecht

Den Höhepunkt des Verfassungs- und Völkerrechtsbruchs in den neunziger Jahren bildete die deutsche Beteiligung am Angriffskrieg gegen Jugoslawien, der, was bis heute viel zuwenig diskutiert wird, ganz wesentlich ein Ergebnis der deutschen Balkanpolitik war.
1999 ist auch das Jahr, in dem sich die Nato ein neues strategisches Konzept gab («Das Strategische Konzept des Bündnisses» vom 24. April 1999), mitten im Krieg, das mit den Grundlagen des Nordatlantikvertrages von 1949 brach, indem nun Kriegseinsätze ausserhalb des Bündnisgebietes, ohne vorher angegriffen worden zu sein, auch ohne Mandat der Vereinten Nationen, als «Aufgaben» der Nato formuliert wurden. Dies ist nicht nur ein Bruch des Nato-Vertrages, sondern auch des Völkerrechts .. und niemals von den Parlamenten der Mitgliedstaaten beschlossen.
Seit dem Nato-Krieg gegen Jugoslawien wird von Regierungsseite in Deutschland ganz offen geplant, die Bundeswehr nicht mehr für die im Grundgesetz formulierten Ziele einzusetzen, sondern als «Armee im Einsatz» für Auslandeinsätze überall in der Welt. Höhepunkt dieser Entwicklung seit 1999 ist das «Weissbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr», das am 26. Oktober, also gut einen Monat vor dem Nato-Gipfel in Riga, von der Bundesregierung verabschiedet wurde.
Einige kritische Analysen zu diesem Weissbuch liegen schon vor, zum Beispiel von der Informationsstelle Militarisierung e.V. in Tübingen («Das Weissbuch der Bundeswehr: ..Highlights.. aus dem Kabinettsentwurf», www.imi-online.de/2006.php3?id=1438) oder vom Deutschen Friedensratschlag in Kassel («Friedensbewegung: Bundesregierung soll Weissbuch zurückziehen», www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Bundeswehr/weissbuch-baf.html). Der Aachener Friedenspreis e.V. hat wegen des Weissbuches eine Strafanzeige gegen Bundeskanzlerin Merkel und den Bundesverteidigungsminister Jung wegen der Vorbereitung von Angriffskriegen (www.aachener-friedenspreis.de) beim Generalbundesanwalt in Karlsruhe eingereicht.

2006: Bundeswehr wird zur international operierenden «Wehrmacht»

Das Weissbuch ist eine Rechtfertigungsschrift und Handlungsanleitung für deutsche Kriege, die nichts mehr mit dem zu tun hat, was das deutsche Grundgesetz vorsieht. Dort gibt es das Bekenntnis zu «unverletzlichen und unveräusserlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt» (Artikel 1), wozu ganz zentral die Gleichberechtigung aller Menschen und das Selbstbestimmungsrecht der Völker gehören; die unmittelbare Gültigkeit der «allgemeinen Regeln des Völkerrechts» (Artikel 25), wozu ganz zentral das Friedensgebot der Uno-Charta zählt; die Verfassungswidrigkeit und Strafbarkeit aller «Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten» (Artikel 26) und die Bestimmung, dass die deutschen Streitkräfte «zur Verteidigung» aufgestellt werden (Artikel 87a). Das Weissbuch formuliert statt dessen, dass die Bundeswehr «konsequent den Weg des Wandels zu einer Armee im Einsatz» beschreitet und sich dabei «tiefgreifend» verändern soll. Dabei
.. sei die Verteidigungsaufgabe nicht mehr aktuell;
.. sollen die Aufgaben der Bundeswehr weiter gehen als das, was die Verfassung vorsieht; sie soll in Zukunft auch «Werten, Zielen und Interessen der deutschen Sicherheits- und Verteidigungspolitik» dienen, wozu u.a. die Sicherung des «freien und ungehinderten Welthandels», der «Zugang zu Rohstoffen, Waren und Ideen», «eine sichere, nachhaltige und wettbewerbsfähige Energieversorgung» gehören sollen: «Energiefragen werden künftig für die globale Sicherheit eine immer wichtigere Rolle spielen»;
.. wird einer «Präventiv»strategie, die auch präemptive Kriege plant, Priorität gegeben, («Risiken und Bedrohungen für unsere Sicherheit vorzubeugen und ihnen rechtzeitig dort zu begegnen, wo sie entstehen»);
.. wird der Nato und dem Bündnis mit den USA der absolute Vorrang in der deutschen Aussen- und Kriegspolitik eingeräumt; alle EU-Länder, also auch die neutralen und nicht zur Nato gehörenden, sollen durch Deutschland enger an die USA und die Nato angebunden werden;
.. wird die völkerrechtswidrige Nato-Strategie von 1999 zur Grundlage des deutschen Nato-Beitrages erklärt und nochmals auf unerträgliche Art und Weise die Bombardierung Jugoslawiens gerechtfertigt («entschlossenes und gemeinsames Eingreifen der internationalen Staatengemeinschaft»);
.. wird gefordert, das Völkerrecht den deutschen und Nato-Kriegsplänen «anzupassen», denn «gerade wenn es zum Einsatz militärischer Gewalt kommt, ist die völkerrechtliche Legitimation entscheidend»;
.. will Deutschland einen Sitz als ständiges Mitglied im Weltsicherheitsrat .. um dort auch die Vereinten Nationen unter Kontrolle zu halten;
.. sollen auch die Länder des «Mittelmeerdialoges», zu denen unter anderem Israel gehört, befähigt werden, «an Krisenreaktionseinsätzen», also an Kriegen «der Allianz teilzunehmen»,
.. soll auch die Nato, genauso wie die Bundeswehr, «umfassend transformiert» werden,
.. werden die Veränderungen des Bundeswehrauftrages (und des Nato-Auftrages) in den unmittelbaren Zusammenhang mit der Globalisierung und einer umfassenden Politik der Absicherung der Globalisierung gestellt, von der sich Deutschland «neue Chancen» erhofft.
Deutschland falle «eine wichtige Rolle bei der künftigen Gestaltung Europas und darüber hinaus zu».
An erster Stelle der Bedrohungen wird wieder einmal der «internationale Terrorismus» genannt. Wieder einmal wird allerdings nicht dargelegt, warum es zur Bekämpfung des Terrorismus (wie man hört, kleine, in aller Welt verstreute Gruppen) ganzer Armeen bedarf und polizeiliche Mittel nicht ausreichen sollen. Offensichtlich geht es um etwas ganz anderes, und die letzten 7 Jahre haben auch gezeigt, worum es geht, nämlich eine imperiale Kriegspolitik zur Machterweiterung und zum neokolonialen Zugriff auf Rohstoffe und Rohstofftransportwege.
Das neue Weissbuch wurde rechtzeitig vor dem Nato-Gipfel in Riga verabschiedet. Dort wird es, vor allem auf Druck der US-Regierung, darum gehen, wie und auf welche Art und Weise alle Nato-Länder in den laufenden Weltkrieg eingespannt werden können. Die Pläne des Weissbuches decken diese Forderungen ab. Jeder demokratische Widerstand hiergegen ist unterstützenswert.


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