Deutschland muss wieder auf den Weg des Rechts finden

Absolutistisches Regierungshandeln ist in einer Demokratie nicht länger duldbar

von Karl Müller, Deutschland

Princeps legibus absolutus est, der Fürst ist der Gesetze ledig. Der europäische Absolutismus, der mit diesen Worten charakterisiert wird, wurde mit der Aufklärung und dem Rechtsstaatsprinzip überwunden .. auch in Deutschland.
Anscheinend aber noch nicht ganz.
Wer nicht auf die deutschen Verfassungsideen und den Verfassungstext, sondern auf die poli tische Wirklichkeit schaut, der stellt sehr schnell fest, dass sich deutsche Regierungen nach wie vor wie absolutistische Fürsten verhalten; und zwar in seiner schlimmsten Form des machiavellistischen Fürsten, für den Machiavelli vor 500 Jahren schrieb: «Man muss nämlich wissen, dass es zweierlei Waffen gibt: die des Rechtes und die der Gewalt.

Jene sind den Menschen eigentümlich, diese den Tieren. Aber da die ersten oft nicht ausreichen, muss man gelegentlich zu den anderen greifen. Deshalb muss ein Fürst verstehen, gleicherweise die Rolle des Tieres und des Menschen durchzuführen.» Der Fürst, so Machiavelli weiter, dürfe deshalb zum Beispiel sein Wort nicht halten, wenn er sich dadurch selbst schaden würde; nützlich sei es, wenn man Tugenden zur Schau trage, schädlich, wenn man sie stets ausübe; und im Notfall soll der Fürst «nicht vor dem Schlechten zurückschrecken».
Die amerikanischen Neokonservativen beziehen sich ganz offen auf Machiavelli. Aber es sind nicht nur ein paar hundert Neokonservative, die so denken und handeln. In Tat und Wahrheit haben die machiavellistischen Gedanken bis heute das Handeln fast aller Mächtigen bestimmt, die sich der rechtlichen Bindungen entledigen wollten, heute allerdings auf eine die ganze Menschheit bedrohende Art und Weise.
Blutspuren zeichnen den Weg sehr vieler Regierungen. Ein beredtes Beispiel dafür ist das Agieren der staatlichen Geheimdienste. Man lese nur das neueste Buch von Udo Ulfkotte, «Der Krieg im Dunkeln. Die wahre Macht der Geheimdienste» (ISBN 3-8218-5578-9) .. eine Geschichte des staatlich gedeckten Betrugs, Verbrechens und Mordens. Und wer immer noch glaubt, dies alles betreffe ja nicht die deutschen Geheimdienste, der lese das neueste Buch des deutschen Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom, «BND. Der deutsche Geheimdienst im Nahen Osten. Geheime Hintergründe und Fakten» (ISBN 3-7766-2503-1).
Allerdings haben die Machthaber zuwenig damit gerechnet, dass die Aufklärung auch Früchte zeigt. Immer mehr Menschen beginnen zu studieren, was eigentlich die Rechte und Pflichten der Menschen sind, und immer lauter fordern Menschen, dass sich nicht nur die Bürgerinnen und Bürger ohne hohes Amt und ohne sehr viel Geld, sondern auch die Reichen und Mächtigen ans Recht halten müssen und es vorbei sein muss mit aller absolutistischen Willkür und den Privilegien, den Vorrechten.
Die Verfassungen, die Gesetze der Staaten und das Völkerrecht müssen für alle verbindlich sein.
Am 30. Juni 2002 ist in Deutschland das Völkerstrafgesetzbuch in Kraft getreten. Das deutsche Völkerstrafgesetzbuch soll unter anderem das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (ICC) in nationales deutsches Recht umsetzen. Das Gesetz verfolgt «Straftaten gegen das Völkerrecht» (VStGB § 1). Als Straftaten gegen das Völkerrecht werden «Völkermord» (§ 6), «Verbrechen gegen die Menschlichkeit» (§ 7; eine treffendere Bezeichnung wäre Verbrechen gegen die Menschheit gewesen), «Kriegsverbrechen gegen Personen» (§ 8), «Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte» (§ 9), «Kriegsverbrechen gegen humanitäre Operationen und Embleme» (§ 10), «Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung» (§ 11) und «Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Mittel der Kriegsführung» (§ 12) aufgelistet. Leider nicht wörtlich aufgenommen wurde der Straftatbestand «Führung eines Angriffskrieges», so wie es die «Nürnberger Prinzipien» taten, die 1950 ins allgemeine Völkerrecht aufgenommenen wurden und den Angriffskrieg als schwerstes Kriegsverbrechen einstufen.
Nichtsdestoweniger: Wer allein schon die Paragraphen des deutschen Völkerstrafgesetzbuches gründlich liest und diese Bestimmungen mit den Kriegen der USA und spätestens seit 1999 auch der Nato vergleicht, der muss zu dem Schluss kommen, dass die Verantwortlichen in den USA und in den Nato-Ländern vor ein deutsches Gericht gestellt und verurteilt werden müssten. Es ist deshalb wohl auch kein Zufall, dass die von einer amerikanischen Menschenrechtsgruppe und dem deutschen Anwalt Wolfgang Kaleck eingereichte Klage gegen den aus dem Amt scheidenden amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und andere hohe US-Militärs am 14. November in Deutschland eingereicht wurde. (Den vollständigen Text der Klageschrift sowie weitere Rechtsgutachten hierzu findet man unter: www.diefirma.net/index.php?id=84,233,0,0,1,0&hashID=427acd1fc55f6685eb6483e98426e5fd.)

In Deutschland liegt mit dem neuen Völkerstrafgesetzbuch eine nationalstaatliche Rechtsgrundlage für eine Verhaftung, einen Prozess und für eine Verurteilung vor.
Aber es ist nicht nur Donald Rumsfeld, der vor ein deutsches oder internationales Gericht gestellt werden müsste. Und das ist nicht nur eine politische Floskel, sondern sehr ernst gemeint .. wenn der Rechtsstaat wieder in Kraft gesetzt werden soll.
Deshalb fordert es auch deutliche Kritik heraus, mit wieviel Schlagzeilen und Bravorufen deutscher Politiker und deutscher Medien der nun vorliegenden Bericht der von der US-Regierung eingesetzten «Studiengruppe» zum Irak, der sogenannten «Realisten», begleitet wird. Diese Studiengruppe erwähnt mit keinem Wort, dass die US-Regierung einen völkerrechtswidrigen und verbrecherischen Angriffs- und Besetzungskrieg geführt hat und führt. Es kann aber keinen wirklichen Fortschritt und schon gar keine Lösung der Probleme im Irak (und auf den anderen Kriegsschauplätzen) geben, wenn nicht auch das Recht wieder in Kraft gesetzt und die Rechtsbrecher als solche bezeichnet und zur Verantwortung gezogen werden.
Dass die deutsche Regierung dabei mitmacht, einzig und alleine nach einem Weg zu suchen, wie man die Probleme im Irak «in den Griff bekommen» kann und wie die «Interessen» der USA und des «Westens» im Irak und in der Welt gewahrt bleiben können, liegt in der Logik einer deutschen Poli tik, die schon in den vasallenartigen Nachkriegsjahrzehnten, vor allem aber seit dem offenen Übergang zur Grossmachtpolitik mit dem Anschluss der ehemaligen DDR an die alte Bundesrepublik zur reinen Machtpolitik übergegangen ist und das Recht immer offener bricht.
Die «Studiengruppe» hat vorgeschlagen, auch Deutschland stärker im Irak mit einzuspannen. Das wurde von deutschen Politikern sofort aufgegriffen. Nun gilt wohl auch gegenüber der derzeitigen US-Regierung und ihrer Irak-Politik: Der Zweck heiligt die Mittel, die alten Mittel lassen sich nicht mehr ganz halten, also sucht man neue Mittel, aber ändert nichts am Zweck: die Herrschaft .. über ein geschundenes Land und weit darüber hinaus. Und dabei wollen die deutschen politischen und wirtschaftlichen Eliten auf jeden Fall mitmischen .. im Irak noch nicht mit eigenen Soldaten, aber politisch und wirtschaftlich. Davon, dass die Iraker selbst gefragt werden sollen, was sie wollen, ist nicht die Rede.
Der deutsche Aussenminister Steinmeier hat unterdessen den Nahen Osten besucht und Einfluss darauf nehmen wollen, wer in Libanon regieren soll .. anstatt sich über eine erneute «farbene Revolution» zu freuen wie die Male zuvor. Allerdings hat der deutschen Regierung (und ihren «Verbündeten») diesmal wohl die Farbe nicht gepasst. Aber auch darum werden sich die Menschen und Völker wohl nicht mehr länger kümmern.
Das Gerede vom «Kampf der Kulturen» hat die Massstäbe aus dem Lot gebracht, dass es in der Geschichte des menschlichen Fortschritts um eine andere Auseinandersetzung geht: die zwischen Recht und Unrecht. Jeder kann sich aber frei für das Recht entscheiden .. und dann auch handeln.


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