Wir lassen sie so lange wählen, bis sie das Richtige gewählt haben

BERLIN

Mit einer umfassenden PR-Kampagne leitet die Bundesregierung ihre kommende EU-Ratspräsidentschaft ein. Begleitet von mehreren hundert “Kommunikationsevents” sind für die nächsten drei Monate ein bundesweiter Schulprojekttag (Januar), eine “Deutsche Bürgerkonferenz” (Februar) sowie Feierlichkeiten zum fünfzigsten Jahrestag der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (März) angekündigt.

Ziel ist eine breite Mobilisierung für zentrale Vorhaben Berlins, unter anderem für den EU-Verfassungsvertrag. Man müsse in der Bevölkerung eine Stimmung schaffen “wie zur Fußball-WM”, verlangt Vizekanzler Franz Müntefering (SPD) in Anspielung auf die staatlich gesteuerten Massenveranstaltungen des vergangenen Sommers. Auf diese Weise soll den europaweiten Mehrheiten gegen die EU-Politik begegnet werden. Angesichts deutlicher Widerstände der deutschen Nachbarn und deren Furcht vor einer zunehmenden Berliner Dominanz erklärt Kanzlerin Angela Merkel die Ratspräsidentschaft ihrer Regierung zu einem “nationalen Anliegen”. Breite Teile der Parlamentsopposition schwören Geschlossenheit.

Wie Frau Merkel nicht ohne Stolz ankündigt, sieht die EU-Werbekampagne der Bundesregierung rund 400 öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen in ganz Deutschland vor. Für den 22. Januar ist ein bundesweiter Schulprojekttag angekündigt; Abgeordnete des Bundestages, der Länderparlamente und des Europaparlaments sowie Mitglieder der Bundesregierung werden in den deutschen Schulen für europapolitische Vorhaben Berlins werben - mit entsprechendem Medienecho. Am 24. und 25. Februar findet in Berlin eine “Deutsche Bürgerkonferenz” statt; Ziel ist die Verabschiedung einer “Europäischen Bürgererklärung über die Zukunft Europas” - ein Werbegag, der den Anschein staatsferner EU-Sympathien erwecken und mit ähnlicher Politsymbolik in anderen EU-Staaten synchronisiert werden soll. Die aufwendige PR-Konferenzserie wird mit hohen Summen aus Brüsseler Steuererträgen finanziert und ist am vergangenen Freitag im Auswärtigen Amt eröffnet worden. Höhepunkt der Kampagne sind die Feierlichkeiten am 25. März, die dem fünfzigsten Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge gewidmet sind. Sie gelten als zentrale Werbemaßnahme für den EU-Verfassungsvertrag.

Teuer

Die PR-Kampagne der Bundesregierung intensiviert die bisherigen Bemühungen Berlins, die deutsche EU-Politik durch Mehrheiten in der Bevölkerung abzusichern.[1] Bereits in den Jahren 2002 bis 2005 wurden zu diesem Zweck mehr als neun Millionen Euro ausgegeben, fast die Hälfte davon für Kampagnen, weitere Beträge für Werbematerialien und Multiplikatorenschulungen. Da die EU-skeptische Stimmung in der Bevölkerung anhält und langfristig Schwierigkeiten bei der Umsetzung wichtiger EU-Vorhaben nicht auszuschließen sind, gilt eine Ausweitung der teuren Werbetätigkeit als unumgänglich. Im September 2005 hat die Bundesregierung einen “Runden Tisch Europakommunikation” initiiert, der staatliche Stellen aller Ebenen (Bund, Länder, Kommunen) sowie europäische Institutionen (EU-Kommission, Europaparlament) mit angeblich staatsfernen Initiativen (”bürgergesellschaftliche Institutionen”) vernetzt und die Berliner PR-Tätigkeit optimieren möchte.[2] Die Erkenntnisse des “Runden Tisches” fließen in die Arbeit der “Verwaltungspartnerschaft” ein, die im Dezember 2005 zwischen der Bundesregierung und der EU-Kommission geschlossen wurde. Bei der “Verwaltungspartnerschaft” handelt es sich um das institutionelle Bindeglied, das Mittel aus dem Brüsseler PR-Etat (Gesamtvolumen 2007 bis 2013: 231 Millionen Euro) nach Deutschland leitet.


Zivilgesellschaft

Die Bundesregierung legt besonderen Wert auf die Einbindung von Organisationen, die sie als staatsfern ausgeben kann. Erst kürzlich hat das Bundeskanzleramt einen “Europa-Dialog” initiiert, der - wie der “Runde Tisch Europakommunikation” des Auswärtigen Amts - die “Zivilgesellschaft” für die amtliche EU-Politik nutzbar machen soll. Es sei “wichtig, dass die wichtigen Leute in dieser Gesellschaft - die Multiplikatoren, die sich gesamtgesellschaftlich engagieren - auch gut über Europa sprechen”, erläuterte Kanzlerin Merkel bei der Auftaktveranstaltung für den “Europa-Dialog”, der im Januar fortgesetzt werden soll. Man müsse zur deutschen EU-Ratspräsidentschaft “eine ähnliche Begeisterung” schaffen “wie zur Fußball-WM”, verlangte Vizekanzler Franz Müntefering vor den anwesenden Vertretern von Gewerkschaften, Kirchen, Wissenschaftsverbänden und Kulturorganisationen.[3] Die Massenveranstaltungen des vergangenen Sommers, die die WM begleiteten und breite Begeisterung für nationale Symbole organisierten, wurden nach einem ähnlichen Konzept gesteuert - von einer Arbeitsgruppe im Bundesinnenministerium.

Possessiv

Von einer Mobilisierung der Bevölkerung für die deutsche EU-Politik verspricht sich Berlin auch eine weitere Stärkung seiner Position gegenüber Brüssel. Dort ruft der massive Druck, den die Bundesregierung seit geraumer Zeit anlässlich ihrer Ratspräsidentschaft ausübt, Proteste hervor. Berlin hat unter anderem den Zeitraum, während dessen es über besonderen Einfluss in den europäischen Gremien verfügt, auf 18 Monate ausgedehnt - mittels der ersten sogenannten “Dreierpräsidentschaft”. Dabei handelt es sich um eine enge Kooperation Deutschlands mit Portugal und Slowenien, die die anschließenden Ratspräsidentschaften innehaben. Wie der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Joachim Wuermeling hervorhebt, greift Berlin hiermit “der Idee des Verfassungsvertrags zur Troika-Präsidentschaft schon vor”.[4] Die unverhüllte Vereinnahmung der EU für die deutsche Politik offenbarte sich vor mehreren Wochen, als die Bundesregierung EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso zu einer Kabinettssitzung zwecks Vorbereitung der Ratspräsidentschaft nach Berlin zitierte. Es sei “nicht fair (…), alle Last auf den Schultern Deutschlands abzuladen” [5], äußerte Barroso dort - eine fürsorgliche Umschreibung steigenden Widerwillens gegen die possessiven Allüren der deutschen EU-Politik.

Kontinuierlich

Die innenpolitischen Begleiterscheinungen der äußeren Formierung zeigen sich in Aufrufen zu nationaler Geschlossenheit. Die Bundesregierung fordere für ihre Ratspräsidentschaft eine reibungslose Kooperation “sowohl mit den Koalitionsfraktionen als auch mit den Oppositionsfraktionen” [6], erklärte Frau Merkel am vergangenen Donnerstag vor dem Bundestag - und erhielt untertänigen Beifall. “Wir alle wollen den Erfolg dieser Präsidentschaft”, erklärte der Partei- und Fraktionsvorsitzende der oppositionellen FDP, Guido Westerwelle.[7] Nicht nur die FDP, auch sämtliche übrigen Parteien des Deutschen Bundestags haben sich der Europa-Ideologie verschrieben [8] und halten seit Jahrzehnten einen politischen Burgfrieden ein, der die wirtschaftspolitische Expansion der Bundesrepublik kontinuierlich begleitet.

[1] s. dazu Europäische Kommunikationspolitik
[2] Runder Tisch “EUropa-Kommunikation” im Auswärtigen Amt; www.aktion-europa.diplo.de
[3] Ja zu Europa; Presse- und Informationsamt der Bundesregierung 06.12.2006
[4], [5] Die wirtschaftspolitischen Ziele der deutschen EU-Ratspräsidentschaft; Rede von Staatssekretär Dr. Joachim Wuermeling anlässlich des Dinner-Roundtables von Konrad-Adenauer-Stiftung und Hanns-Seidel-Stiftung am 20. November 2006 in Brüssel
[6] Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zur Doppelpräsidentschaft; Berlin 14.12.2006
[7] Merkel: Wir wollen die Welt wieder begeistern; Frankfurter Allgemeine Zeitung 15.12.2006
[8] s. dazu Bauhaus Europa

Quelle

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