Kesseltreiben gegen Klar: Züchtigungsprogramm

Von Werner Pirker
Nicht Christian Klar hat sich in aller Öffentlichkeit als Gegner der Demokratie deklariert. Der Angriff auf die demokratischen Grundlagen der Gesellschaft erfolgt vielmehr aus den Kreisen, die sie zu repräsentieren vorgeben. In ihren Reaktionen auf Klars Grußbotschaft an die Teilnehmer der Rosa-Luxemburg-Konferenz vom Januar 2007 ist die unverhüllte Botschaft enthalten, daß Vorstellungen über eine sozial gerechtetere Gesellschaft als Ausdruck einer terroristischen Gesinnung zu kriminalisieren und jene, die ihnen anhängen, für alle Zeiten wegzusperren seien. Allein die Tatsache, daß der RAF-Gefangene Reflexionen über die Veränderbarkeit der herrschenden Verhältnisse angestellt hatte, wird von CSU-Generalsekretär Söder als ein so schwerer Straftatbestand gewertet, »daß so ein Mann nie auf freien Fuß kommen« dürfe und »bis ans Ende seines Lebens hinter Schloß und Riegel bleiben« müsse.

Klar hatte seiner Genugtuung über fortschrittliche Veränderungen in Lateinamerika Ausdruck verliehen und das »imperiale Bündnis« gebrandmarkt, das sich ermächtige, jedes um einen eigenständigen Entwicklungsweg bemühte Land »aus dem Himmel herab zu züchtigen und ihre ganze gesellschaftliche Daseinsform in einen Trümmerhaufen zu verwandeln«. Und er hatte die Welt als historisch dazu reif befunden, »die Gespenster der Entfremdung von des Menschen gesellschaftlicher Bestimmung« zu vertreiben. Von dieser eher abstrakten Beschreibung der Machtverhältnisse als Gespensterparade fühlten sich offenbar genau die Richtigen angesprochen.

Die bürgerliche Demokratie erlebt in der Zeit der neoliberalen Reaktion einen dramatischen Bedeutungswandel. Präsentierte sie sich früher als nach vorne offen, so wird nun gemauert, was das Zeug hält. So werden im deutschen Grundgesetz Bestrebungen nach einer friedlichen Überwindung der Gesellschaftsordnung ausdrücklich toleriert. Je mehr sich die Demokratie aber als »liberal« definiert, desto weniger liberal wird sie in ihrem Umgang mit den Vertretern anderer Demokratievorstellungen. Demokratie und Kapitalismus haben sich zum »westlichen Wertekanon« verdichtet. Ihn weltweit durchzusetzen bedarf der Züchtigung auch in den Ländern der etablierten Demokratie. Da, wo sich die Demokratie vom Kapitalismus nicht mehr trennen läßt, kann es schon mal passieren, daß sich der Kapitalismus von der Demokratie trennt.

Christian Klar, der dem voluntaristischen Konzept eines bewaffneten Kampfes ohne revolutionäre Voraussetzungen längst abgeschworen hat, ohne deshalb seinen Frieden mit den »Gespenstern der Entfremdung« geschlossen zu haben, erscheint als der ideale Sündenbock. Seine Züchtigung beschreibt den Zustand der Gesellschaft.

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