Am Anfang der Zerschlagung Jugoslawiens stand ein amerikanisches Gesetz
Ein Jahr vor dem Auseinanderbrechen der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien, am 5. November 1990, verabschiedete der amerikanische Kongress das «Foreign Operations Appropriations Law 10l-513» (Gesetz über die Bewilligung von Mitteln an das Ausland) für 1991.
Dieses Gesetz war ein unterzeichnetes Todesurteil. Insbesondere eine der darin enthaltenen Vorschriften war so verheerend, dass selbst in einem drei Wochen später in der «New York Times» vom 27. November 1990 zitierten CIA-Bericht vorausgesagt wurde, dass diese Klausel einen blutigen Bürgerkrieg auslösen würde.
In einem Artikel des Gesetzes 101-513 wurde völlig unvermittelt und ohne jede Vorwarnung festgelegt, dass die USA binnen sechs Monaten Jugoslawien jegliche Unterstützung entziehen, die Handelsbeziehungen abbrechen sowie alle Kredite und Darlehen streichen würden. Ferner enthielt dieser Abschnitt die Forderung, in jeder der sechs jugoslawischen Teilrepubliken müssten separate Wahlen durchgeführt werden, wobei die Wahlverfahren und -ergebnisse vom US-Aussenministerium zu genehmigen seien, erst nach Erfüllung dieser Bedingung wollte man den einzelnen Republiken wieder Finanzhilfe gewähren. Des weiteren verpflichtete dieses Gesetz die amerikanischen Angestellten aller internationalen Finanzinstitutionen, zum Beispiel der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds, diese Politik, das heisst die Streichung sämtlicher Kredite und Darlehen, durchzusetzen. Das Gesetz enthielt eine abschliessende Bestimmung, wonach ausschliesslich solche Kräfte, die laut Definition des US-Aussenministeriums als «demokratisch» anzusehen waren, Finanzhilfen erhalten sollten. In der Praxis bedeutete dies den Zustrom von Geldern an kleine rechtsgerichtete, nationalistische Parteien in einem Lande, das wirtschaftlich erdrosselt wurde und sich durch den vollständigen Entzug der finanziellen Unterstützung plötzlich in einer tiefen Krise befand. Die Auswirkungen waren, wie zu erwarten, verheerend. Das Gesetz stürzte die jugoslawische Bundesregierung in den Untergang. Sie war nicht in der Lage, die immens hohen Zinsen für ihre Auslandsverschuldung zu zahlen oder auch nur den Kauf der für die Industrie benötigten Rohmaterialien zu bewerkstelligen. Es kam zum finanziellen Zusammenbruch und zu gegenseitigen Schuldzuweisungen auf allen Seiten. Zu diesem Zeitpunkt herrschte noch kein Bürgerkrieg, keine der Republiken hatte sich bis dahin abgespalten. Von einer Kontroverse zwischen den USA und Jugoslawien war noch nichts zu merken. Das Land wurde nicht einmal in den Nachrichten erwähnt. Die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit konzentrierte sich damals ganz auf die internationale Koalition, die die Bush-Regierung zusammentrommelte, um die Vernichtung des Irak in die Wege zu leiten – in einem Krieg, der den Nahen Osten zum Preis einer halben Million irakischer Todesopfer umformen sollte. Was steckte hinter diesem vernichtenden, gegen Jugoslawien gerichteten Gesetz? Über seine Bedeutung war man sich im klaren, denn die US-Strategen sagten wie erwähnt voraus, dass ein plötzliches Auseinanderbrechen des Landes zum Bürgerkrieg führen würde. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion befindet sich das amerikanische Grosskapital auf einem aggressiven Vormarsch, um eine neue Ordnung im gesamten europäischen Raum durchzusetzen. Das nicht auf Linie gebrachte Jugoslawien wurde nun nicht mehr als Puffer zwischen der Nato und den Staaten des Warschauer Pakts benötigt. Ein starkes, vereintes Europa war ebenfalls nicht erwünscht. Die Strategen in Washington betrachteten beides als Relikte aus der Zeit des kalten Krieges.
Finanzielle Erpressungsmanöver
Allein der zuvor beschriebene Erlass, das Gesetz 101-513, demonstriert die ungeheure Macht der US-Regierung. Dieses Gesetz war Teil der jährlichen Gesetzgebung, die im einzelnen festlegt, welche Politik die USA in jedem Teil der Welt zu verfolgen haben. Der «Foreign Operations Act» sichert der US-Regierung eine umfassende wirtschaftliche Kontrolle, indem beträchtliche Mittel an internationale Finanzierungsinstitutionen zur Verfügung gestellt werden, wie zum Beispiel an die Inter-American Development Bank (Inter-Amerikanische Entwicklungsbank), den Asian Development Fund (Entwicklungsfonds für Asien), den African Development Fund (Entwicklungsfonds für Afrika), und indem einzelne Länder direkt unterstützt werden. Die vernichtenden Restriktionen gegenüber Jugoslawien umfassten gerade 23 Zeilen. Zum Vergleich: Die Sanktionen, die gegen den Irak verhängt wurden, sind über mehr als neun Seiten detailliert ausgeführt. Bis Januar 1995 hatten die US/UN-Sanktionen gegen den Irak schon den Tod von mehr als einer halben Million irakischer Kinder verursacht. Diese Zahl basiert auf einer Hochrechnung von Thomas Ekfal, dem Vertreter der Unesco in Bagdad («New York Newsday», 19.12.1994). Das 1990 verabschiedete Gesetz über die Bewilligung von Geldern an das Ausland schrieb darüber hinaus verschiedene Massnahmen zur wirtschaftlichen Erdrosselung einer Reihe anderer Länder fest, die als Gegner angesehen wurden, darunter Angola, Kambodscha, Kuba, Iran, der Irak, Libyen, Syrien, Korea (Demokratische Volksrepublik) und Vietnam. Dagegen sollten Länder, welche 1990 bereits eifrig die Einführung der kapitalistischen Marktwirtschaft vorantrieben, wie zum Beispiel Polen, in besonderem Masse finanziell gefördert werden. In keiner der zahlreichen Bekundungen der Sorge des Mitgefühls angesichts der Flüchtlinge und Vertriebenen in aller Welt, insbesondere aber im ehemaligen Jugoslawien, verliert je ein US-Repräsentant auch nur ein Wort darüber, dass das schreckliche Leid durch den wirtschaftlichen Würgegriff der USA verursacht worden ist. Freilich war Jugoslawien im Jahr 1990 nicht zum ersten Mal mit dem Problem finanzieller Abhängigkeit konfrontiert. Das Land war bereits völlig auf die Darlehen westlicher Banken angewiesen. Die zunehmend härteren Konditionen hatten die Wirtschaft zerrüttet. Ein Jahr zuvor schon hatte das Land einen hohen Preis zahlen müssen, um weiterhin Darlehen und Kredite der USA zu erhalten: Ein brutales Sparprogramm wurde eingeführt, das drastische Folgen hatte: die Abwertung der Landeswährung, das Einfrieren der Löhne und Gehälter, die Kürzung von Subventionen, die Schliessung vieler staatlicher Industriebetriebe, die als unrentabel für kapitalistische Investoren erachtet wurden, und schliesslich der Anstieg der Arbeitslosenquote auf 20%. Es kam zu Streiks, Arbeitsniederlegungen und einer deutlichen Zunahme der politischen und wirtschaftlichen Spannungen, vor allem zur Eskalation von Feindseligkeiten unter den verschiedenen Volksgruppen. Nachdem die USA 1990 die Zerschlagung Jugoslawiens vorbereitet hatten, waren die europäischen Mächte kaum bereit, bei der erzwungenen Aufspaltung eines Landes vor ihrer eigenen Haustür lediglich Zuschauer zu bleiben. Das amerikanische Gesetz zur Bewilligung von Geldern an das Ausland war ein deutliches Signal an die europäischen Mächte, dass Jugoslawien und die gesamte europäische Balkanregion wieder zur Plünderung freigegeben sei. Sie hätten vermutlich nicht gewagt, von sich aus etwas zu unternehmen. Nun fürchteten sie, das Unternehmen könne ohne sie stattfinden.
Quelle: Alexander Dorin (Hrsg.). In unseren Himmeln kreuzt der fremde Gott, S. 127–130, ISBN 3-9521797-0-1
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