Claus Peymann: »Das sind auch meine Ansichten«
BE-Intendant Claus Peymann verteidigt Erklärung Christian Klars an Rosa-Luxemburg-Konferenz. Linkspartei: Kapitalismus-Kritik darf kein Haftgrund sein
Von Rüdiger Göbel
Der Intendant des Berliner Ensembles, Claus Peymann, traut sich was. In der medial eskalierten Debatte um eine mögliche Freilassung des früheren RAF-Mitglieds Christian Klar gibt es nicht wenige, die der rechten Kampagne standhalten und sich für dessen Begnadigung aussprechen – »trotz« der antikapitalistischen Grußbotschaft an die Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin.
Der Berliner Theatermacher indes ist der erste Intellektuelle, der sich inhaltlich voll hinter Klars kurze Erklärung stellt. »Das sind auch meine Ansichten«, erklärte Peymann in der Mittwochausgabe der tageszeitung. »Das, was Klar sagt, ist doch eigentlich die Meinung von fünf Milliarden Menschen auf der Welt.« Er spreche das aus, was der weitaus größte Teil der Weltbevölkerung außerhalb Westeuropas und der USA denke. »Es kann ja nicht sein, daß dieses kapitalistische System von Korruption und Verantwortungslosigkeit der Weisheit letzter Schluß ist.
Wer einen halbwegs klaren Kopf hat, weiß doch, daß es nur eine Chance für die Zukunft gibt, wenn wir das System ändern«, so der BE-Chef weiter. »Das System ist bis ins Mark faul. Das weiß jeder Klarsichtige – apropos Klar.«
Peymanns Reaktion traf die Reaktion ins Mark. »Ein Aufschrei hätte durch die Republik gehen müssen«, haderte Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) in der Mittwochausgabe der FAZ angesichts der Intendantenklarsicht. »Doch der Aufschrei bleibt aus!« (siehe unten) Dabei hätte der CDU-Hardliner doch erst einmal zufrieden sein können. Dem seit 24 Jahren in der JVA Bruchsal inhaftierten Klar waren am Dienstag vom baden-württembergischen Justizminister Ulrich Goll (FDP) die gesetzlich vorgesehenen Hafterleichterungen gestrichen worden. Angesichts der Grußbotschaft an die von junge Welt organisierte Konferenz Mitte Januar soll nun eine neue »Gefahrenanalyse« angefertigt werden. Offensichtlicher kann »Gesinnungsjustiz« nicht sein.
Linke lavieren
Der Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Gregor Gysi, kritisierte am Donnerstag denn auch, der Stuttgarter Justizminister verletze »Grundzüge der Rechtsstaatlichkeit«. Goll habe Vollzugslockerungen abgelehnt und »das Gutachten des berühmten Kriminologen Helmut Kury zurückgewiesen, weil sich Klar irgendwie antikapitalistisch geäußert habe«. Hafterleichterungen würden nach dem Grad der Gefährdung der Gesellschaft durch einen Inhaftierten und nach anderen Kriterien gewährt, erklärte der Jurist Gysi, »aber niemals nach der politischen Gesinnung. Ob jemand pro- oder antikapitalistisch ist, spricht weder für noch gegen Hafterleichterungen, ist für die Frage ohne Relevanz.« Daß Herr Goll und andere Politiker meinten, daß Hafterleichterungen prokapitalistische Ansichten und Äußerungen voraussetzen, »ist hanebüchen und grundgesetzwidrig«.
Führende Politiker der Linksfraktion hatten sich in den vergangenen Tagen in Sachen Klar-Begnadigung ähnlich geäußert. Als lebte politisch der »Deutsche Herbst« der 70er Jahre wieder auf, ging jeder Erklärung zunächst eine Distanzierung von der RAF voraus. »Bei Klar geht es um extrem verwerfliche terroristische Straftaten, nicht um die Frage, wie abstrus seine politischen Positionen sind«, erklärte etwa der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Ulrich Maurer. Seine Kollegin Dagmar Enkelmann verwies richtigerweise darauf, Klar sei für seine Taten verurteilt worden, nicht für seine Positionen. Letztere wiederum nannte die Brandenburgerin »altverstaubt« – welch Unterschied zur hellsichtigen Wertung Peymanns. Auf Korrektur der Klarschen Weltsicht hoffte schließlich Linkspartei-Politikerin Petra Pau: »Christian Klar sollte die Möglichkeit bekommen, sich seine Weltanschauung wieder durch Anschauung der Welt zu bilden«, begründete die Vizepräsidentin des Bundestages ihr Befürwortung einer Begnadigung.
Ulla Jelpke, Linkspartei-Mitglied des Bundestagsinnenausschusses, konstatierte, »die hysterischen Reaktionen hauptsächlich aus den Regierungsparteien zeigen, daß es diesen Politikern nicht um Recht oder Gnade, sondern um völlige Unterwerfung des politischen Gefangenen geht. Sie wollen Klar allein aufgrund seiner Gesinnung weiterhin inhaftiert sehen.« Sie bekenne sich schuldig, so Jelpke weiter: »Auch ich teile Klars Hoffnung, ›die Niederlage der Pläne des Kapitals zu vollenden und die Tür für eine andere Zukunft aufzumachen‹. Denn terroristisch ist nicht die Kritik am Kapitalismus, sondern die kapitalistische Globalisierung selbst, die weltweit zu Hunger, Elend, Krieg und Umweltkatastrophen führt.«
Keine Gefahr
Von Christian Klar und den beiden anderen seit vielen Jahren inhaftierten ehemaligen RAF-Mitgliedern Eva Haule und Birgit Hogefeld gehe keinerlei Gefahr mehr aus. »Sie müssen endlich freikommen«, forderte Jelpke am Donnerstag. Dagegen stellten Politiker wie Goll eine Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat dar. »Sie bestreiten einem Gefangenen das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung. Sie propagieren offene Gesinnungsjustiz.«
Christine Buchholz, Sprecherin vom Bundesvorstand der WASG, betonte gegenüber junge Welt: »Das Manöver ist durchsichtig. Die Rechten schlagen Klar und meinen die Linke.« Damit werde nicht nur deutlich, daß Klar weiterhin als politischer Gefangener behandelt wird, sondern daß auch versucht wird, »antikapitalistische Positionen als strafverschärfend zu bewerten«.
Einzig BE-Intendant Peymann hat neben seiner politischen Solidarität Klar allerdings auch eine konkrete Perspektive jenseits der Gefängnismauern zu bieten. Trotz oder gerade wegen der Hetztiraden in den vergangenen Tagen erneuerte er sein Angebot, dem inhaftierten Sozialisten ein Praktikum als Bühnentechniker am Berliner Ensemble in Berlin zu ermöglichen. »Wir haben uns das gut überlegt und mit dem Betriebsrat beschlossen, daß Christian Klar hier eine gute Chance bekommen könnte. Dabei bleibt es, und das ist auch gut so«, versichterte Peymann.
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