Die wahren Hintergründe von Srebrenica

von Lewis MacKenzie, Kanada*

srebrenica1.jpgDie Woche des 14. Juli 2005 war gekennzeichnet vom 10. Jahrestag des zweitgrössten Versagens der Vereinten Nationen seit ihrer Gründung im Jahre 1945 – der Genozid in Ruanda stellt unbestritten Nummer 1 dar. Mit viel Trara konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf das Massaker von «bis zu 8000 bosnischen Männern und Knaben» durch General Ratko Mladics bosnisch-serbische Armee im Juli 1995.
Bei der überwiegenden Mehrheit der kürzlich erschienenen Medienberichte waren Hintergrund und Verantwortlichkeiten für die Katastrophe kein Thema. Man bevorzugte eine simple Erklärung: ein Schwarzweissereignis, an dem allein die Serben die Schuld trugen.
Von jemandem, der bei einigen der dem Massaker vorangegangenen Ereignisse eine bescheidene Rolle spielte, könnte ein wenig Hintergrundinformation etwas Zusammenhang vermitteln. Nach meiner Entlassung aus den kanadischen Streitkräften wurde ich Anfang 1993 gebeten, vor einer Reihe von US-Kongressausschüssen zu erscheinen, die sich mit Bosnien befassten. Einige Monate vorher hatte sich mein Nachfolger bei der Uno-Schutztruppe, General Philippe Morillon, – gegen den Rat seiner Uno-Vorgesetzten – in Begleitung eines kleinen Kontingents kanadischer Soldaten den Weg nach Srebrenica gewaltsam erzwungen und den Einwohnern erklärt, sie stünden nun unter dem Schutz der Uno. Die Leute an der Uno in New York waren wütend auf General Morillon, aber weil er die Medien auf seiner Seite hatte, waren sie gezwungen, das Konzept «sicherer Hafen» für sechs Gebiete in Bosnien – einschliesslich Srebrenica – einzuführen.
Weil er sich Gedanken machte, was denn dieses Konzept bedeute, fragte mich ein US-Senator, wie viele Truppen es brauchen würde, um die sicheren Häfen zu verteidigen. «Etwa in der Grössenordnung von 135 000 Soldaten», antwortete ich. Das Aufgebot hätte angesichts der Reichweite der serbischen Artillerie so gross sein müssen. Der neue Uno-Kommandant vor Ort in Bosnien, der belgische General Francis Briquemeont, sagte, er teile meine Einschätzung, sei aber bereit zu versuchen, das Gebiet mit 65 000 zusätzlichen Truppen zu verteidigen. Der damalige Uno-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali ging zum Sicherheitsrat und empfahl 27 500 zusätzliche Soldaten. Der Sicherheitsrat bewilligte eine zusätzliche Truppe von 12 000 und sechs Monate später wurde die UNPROFOR für diese Aufgabe der sicheren Häfen schliesslich mit weniger als 2000 weiteren Soldaten verstärkt.
Dann änderte der Sicherheitsrat die Formulierung in der Resolution zu den sicheren Häfen von «die Uno wird die sicheren Häfen verteidigen» zu «durch ihre Anwesenheit wird die Uno Angriffe auf die sicheren Häfen abschrecken». Mit anderen Worten: Ein winziges, symbolisches, leichtbewaffnetes Uno-Kontingent wurde als Opferlamm plaziert, um die bosnisch-serbische Armee von einem Angriff «abzuschrecken».
Die bosnischen Muslime brauchten nicht lange, um zu realisieren, dass die Uno nicht in der Lage war, ihr Versprechen, Srebrenica «zu beschützen», zu erfüllen. Mit etwas Hilfe von Aussenstehenden begannen sie, den sicheren Hafen mit Tausenden von Kämpfern und Waffen zu infiltrieren. Als die bosnischen muslimischen Kämpfer besser ausgerüstet und trainiert waren, wagten sie sich aus Srebrenica hinaus und begannen, serbische Dörfer niederzubrennen und deren Bewohner zu töten, bevor sie sich schnell in die Sicherheit zurückzogen, welche die sicheren Häfen der Uno boten. Diese Angriffe erreichten 1994 ihren Höhepunkt und dauerten auch Anfang 1995 noch an, nachdem die kanadische Infanteriekompanie, die ein Jahr dort gewesen war, durch ein grösseres holländisches Kontingent ersetzt worden war.
Die bosnischen Serben mochten die schwersten Waffen gehabt haben, aber die bosnischen Muslime glichen das mit Fähigkeiten der Infanterie aus, die das zerklüftete Terrain rund um Srebrenica in grossem Masse verlangte. Als der Schnee im Frühjahr 1995 schmolz, wurde Nasar Oric, dem Mann, der die bosnischen Muslimkämpfer führte, klar, dass die bosnisch-serbische Armee sich anschickte, Srebrenica anzugreifen, um ihn daran zu hindern, serbische Dörfer zu attackieren. Daher schlichen sich er und eine grosse Zahl seiner Kämpfer aus der Stadt. Srebrenica wurde ohne Verteidigung zurückgelassen, und zwar aus der strategischen Überlegung, dass ein Angriff der Serben auf eine unverteidigte Stadt mit Sicherheit die Nato und die Uno dazu bringen würde, sich damit einverstanden zu erklären, dass Nato-Luftschläge gegen die Serben gerechtfertigt seien. So spazierte die bosnisch-serbische Armee ohne Widerstand in die Stadt Srebrenica.
Was dann geschah, ist nur hinsichtlich seines Ausmasses umstritten. Die Männer und die älteren Knaben der bosnischen Muslime wurden herausgegriffen, die älteren Menschen, Frauen und Kinder wurden hinausbefördert oder hinausgedrängt in Richtung Tuzla und Sicherheit. Es ist ein abscheulicher Punkt, aber es muss gesagt werden, dass man die Frauen nicht gehen lässt, wenn man Genozid begeht, denn sie sind ausschlaggebend für das Weiterbestehen von genau der Gruppe, die man versucht zu eliminieren. Viele der Männer und Knaben wurden exekutiert und in Massengräbern begraben.
Beweise, die dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag vorgelegt wurden, lassen die Zahl von «bis zu» 8000 bosnischen Muslimen, die massakriert worden seien, sehr zweifelhaft erscheinen. Bei dieser Zahl dazugerechnet wurden «bis zu» 5000, die als vermisst klassifiziert worden sind. Mehr als 2000 Leichen sind in und rund um Srebrenica geborgen worden, diese Zahl schliesst auch die Opfer von drei Jahren intensiver Kämpfe in dem Gebiet mit ein. Die Mathematik unterstützt eine Grössenordnung von 8000 Getöteten einfach nicht.
Nasar Oric, der Führer der bosnischen Muslimkämpfer in Srebrencia, steht gegenwärtig [2005] in Den Haag vor Gericht für Kriegsverbrechen, die er im Zuge seiner «Verteidigung» der Stadt beging. Die bis heute vorliegenden Beweise weisen darauf hin, dass er für die Ermordung genauso vieler serbischer Zivilisten ausserhalb Srebrenicas verantwortlich ist, wie bosnische Muslime innerhalb der Stadt von der serbisch-bosnischen Armee massakriert worden sind.
Ein Unrecht macht ein anderes Unrecht nicht zu Recht, aber diese Momente in der Geschichte, die uns alle beschämen wegen unserer Indifferenz, dürfen nicht isoliert und ohne den Kontext, aus dem sie hervorgegangen sind, betrachtet werden.
*Generalmajor Lewis McKenzie war der erste Kommandant der Uno-Friedenstruppe in Sarajevo. •

Quelle

Ein Kommentar zu 'Die wahren Hintergründe von Srebrenica'

Kommentare als RSS oder TrackBack von 'Die wahren Hintergründe von Srebrenica'.

  1. frausuzl sagt,

    am 7. Mar. 2007

    Frausuzl freut sich, bei Medienecho Mitglied zu sein

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