Eine furchtbare Gleichgültigkeit der deutschen Politik gegenüber dem Recht

Die unheilige Parteienallianz in der Frage der US-Stützpunkte in Deutschland

von Karl Müller, Deutschlandinst_grey.jpg

Die pluralistische Demokratie mit ihrer Vielzahl von Parteien und politischen Vereinigungen soll ein Garant dafür sein, dass die verschiedenen Standpunkte zu politischen Fragen öffentlich und insbesondere auch im engeren politischen Raum der Parlamente gleichberechtigt vertreten werden. Politische Gleichschaltung, insbesondere in wesentlichen Fragen, ist der Tod der Demokratie und ein Hinweis auf eine drohende totalitäre Machtanballung.

Hiergegen müssen die Bürgerinnen und Bürger aktiv werden. In der Weimarer Republik konnte ein Generalstreik in den Anfangsjahren der Republik den Kapp-Putsch stoppen. Die staatlichen Institutionen, die für die Wiederherstellung des Rechts zuständig gewesen wären, hatten damals versagt. Was ist heute geboten?
Vor einem Monat, am Abend des 1. Februar, fand im Deutschen Bundestag eine der Öffentlichkeit verschwiegene Debatte statt.  Elf Monate zuvor, am 8. März 2006, hatte die Fraktion Die Linke einen Antrag zur Abstimmung im Bundestag eingebracht, der sich dafür aussprach, die Dauergenehmigung für Militärflüge der US-Streitkräfte in und über Deutschland aufzuheben und statt dessen zu einer Einzelfallprüfung überzugehen (Bundestags-Drucksache 16/857). Die Bundesregierung sollte zudem von der Rücktrittsmöglichkeit vom Zusatzabkommen zum Nato-Truppenstatut (siehe Kasten) Gebrauch machen, um sicherzustellen, «dass die Nutzung von Liegenschaften, die Nato-Partnern zur ausschliesslichen Nutzung überlassen worden sind, sowie der deutsche Luftraum nicht für Verstösse gegen das Völkerrecht missbraucht werden können».
Der Antrag wies zur Begründung darauf hin, dass sich die US-Stützpunkte in Deutschland, namentlich der in Ramstein, «zu den wichtigsten Drehscheiben für völkerrechtswidrige Kriege und andere US-Militäreinsätze» entwickelt haben und die Bundesregierung mit ihrer Genehmigung zur Nutzung dieser Basen «den Krieg im Irak und die Vorbereitung auf einen Angriff auf Iran» unterstützt. Zudem würden die Privilegien, die das Nato-Truppenstatut den Nato-Staaten gewährt, «auch auf Angehörige der US-Streitkräfte angewandt, die nicht im Nato-Auftrag unterwegs waren». Dies widerspreche eindeutigen Bestimmungen des Nato-Truppenstatuts sowie des Zusatzabkommens zum Nato-Truppenstatut.

Gleichgeschaltete Polemik im Bundestag

Die Antragsteller stiessen mit ihrem Antrag im Bundestag auf eine wie gleichgeschaltet wirkende Polemik. Niels Annen von der SPD ereiferte sich, es sei «absurd», das Nato-Truppenstatut verändern zu wollen, denn «dadurch würde ein Misstrauen innerhalb des Bündnisses zum Ausdruck kommen». «Wir müssen uns darauf verlassen können», so der Abgeordnete Annen, «dass die USA bilaterale Verträge ebenso achten wie das Regime des Völkerrechts und der Menschenrechte» – man denkt, Annen ignoriere die letzten 16 Jahre Weltgeschichte. Dann fügte Annen auch noch hinzu, Deutschland hätte sich «nicht an dem völkerrechtswidrigen Irak-Krieg beteiligt, auch wenn das hier immer wieder suggeriert wird». Damit macht er eine doppelte Falschaussage: zum einen hat sich Deutschland ganz offensichtlich an diesem Krieg beteiligt und tut dies bis heute (siehe unten), und zum anderen waren es ja gerade die USA, die diesen Krieg, den Annen selbst «völkerrechtswidrig» nannte, führten und führen.
Der FDP-Abgeordnete Rainer Stinner wusste nichts anderes zu sagen, als dass die Antragsteller die Nato zerstören wollten und er glaube, «dass durch die Befolgung ihres Antrages die Bündnisfähigkeit unseres Landes nachhaltig, und zwar gravierend, vermindert würde». Geht «Bündnisfähigkeit» vor Recht?
Zu einer regelrechten Attacke auf die Antragsteller setzte der CSU-Abgeordnete Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg an. Er gab zwar zu, dass «die Vereinigten Staaten gerade im Rahmen ihres selbstproklamierten Krieges gegen den Terror gelegentlich auf Mittel zurückgreifen, die unserem Rechtsverständnis fremd sind», sah in dem Antrag aber trotzdem lediglich «Verunglimpfungen und Beleidigungen unserer Bündnispartner». Substanz bot Guttenberg nicht. Statt dessen Beschwichtigungen – niemand bereite einen Krieg gegen Iran vor – und eine nicht zu akzeptierende Rechtsauffassung: Truppenbewegungen der US-Streitkräfte im Einzelfall zu genehmigen sei nicht «praktikabel».

Souveränitätsrechte stören

Jürgen Trittin von Bündnis 90/Die Grünen schloss den Reigen des neuen deutschen Untertanengeistes: Heute sind für ihn, den ehemaligen K-Gruppen-Aktivisten, die USA ein «Staat, der über eine funktionierende Demokratie und über ein funktionierendes rechtliches System» verfügt. Die USA hätten auch Krieg gegen den Irak geführt, «wenn sie Ramstein nicht hätten nutzen können» – eine groteske Logik für die deutsche Genehmigung zur Nutzung von Ramstein. Vor allem aber findet Trittin: Es sei doch sehr gut, dass Deutschland in multinationale Organisationen wie die Nato eingebunden sei und Deutschland Souveränitätsrechte verliere: «Ständig zu kritisieren, dass wir Hoheitsrechte verlieren, ist nicht links, sondern nationalistisch.» Das heisst aber: Mit den USA und der Nato gemeinsam völkerrechtswidrige Kriege zu führen ist für Jürgen Trittin besser als deutsche Souveränitätsrechte für den Einsatz für das Völkerrecht zu nutzen.
Ganz offensichtlich sind die Abgeordneten, die hier im Namen ihrer Parteien Stellung genommen haben, nicht mehr «Vertreter des Volkes» (Artikel 38 Grundgesetz). Für wen sprechen sie? Und was sind ihre Motive?

Angela Merkel macht es vor: «Weltstaatsfrau» für das globale Kapital

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hatte es im Januar in Davos vorgemacht, indem sie sich als eine «Weltstaatsfrau» («Süddeutsche Zeitung» vom 26. Januar) gab. Sie war schon lange bevor sie deutsche Kanzlerin wurde, in die Nachwuchsriege der «Young Global Leaders» des World Economic Forums WEF aufgenommen worden; eine Riege, deren Aufgabe es vor allem ist, die Globalisierung der Finanz- und Handelsmärkte voranzutreiben – sicher nicht im Interesse der grossen Bevölkerungsmehrheit. Mit allen Konsequenzen, auch dem Krieg und dem Weltkrieg.
Wen stört es, wenn eine Fraktion im Bundestag – und es sieht so aus, dass dies derzeit, von ganz wenigen Einzelpersönlichkeiten abgesehen nur noch die Fraktion Die Linke ist – auf die Rechtslage hinweist?

Die deutsche Beteiligung am völkerrechtswidrigen Irak-Krieg

Der Irak-Krieg war und ist ganz offensichtlich ein völkerrechtswidriger Krieg. Das haben nicht nur zahlreiche Völkerrechtler und selbst auch der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, so gesagt und geschrieben, darauf hat in Deutschland höchstrichterlich das Bundesverwaltungsgericht mit seinem Urteil vom 21. Juni 2005 (BverwG 2 WD 12.04) hingewiesen, wenn auch in vorsichtiger Formulierung. Im 6. Leitsatz des Urteils heisst es: «Gegen den am 20. März 2003 von den USA und vom Vereinigten Königreich (UK) begonnenen Krieg gegen den Irak bestanden und bestehen gravierende rechtliche Bedenken im Hinblick auf das Gewaltverbot der UN-Charta und das sonstige geltende Völkerrecht. Für den Krieg konnten sich die Regierungen der USA und des UK weder auf sie ermächtigende Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates noch auf das in Art. 51 UN-Charta gewährleistete Selbstverteidigungsrecht stützen.» Im 7. Leitsatz wird auf die Rolle Deutschlands in diesem Krieg eingegangen: «Weder der Nato-Vertrag, das Nato-Truppenstatut, das Zusatzabkommen zum Nato-Truppenstatut noch der Aufenthaltsvertrag sehen eine Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland vor, entgegen der UN-Charta und dem geltenden Völkerrecht völkerrechtswidrige Handlungen von Nato-Partnern zu unterstützen.»
Nach eingehender rechtlicher Erörterung in der Urteilsbegründung formuliert das Gericht zusammenfassend: «Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland hat nach den vom Senat [des Bundesverwaltungsgerichtes] getroffenen Feststellungen im Zusammenhang mit dem Krieg gegen den Irak den Regierungen der USA und des UK die Zusagen gemacht und erfüllt, für den Luftraum über dem deutschen Hoheitsgebiet ‹Überflugrechte› zu gewähren, ihre in Deutschland gelegenen ‹Einrichtungen› zu nutzen und für den ‹Schutz dieser Einrichtungen› in einem näher festgelegten Umfang zu sorgen; ausserdem hat sie dem Einsatz deutscher Soldaten in AWACS-Flugzeugen zur ‹Überwachung des türkischen Luftraums› zugestimmt.
Gegen diese Unterstützungsleistungen bestanden/bestehen gravierende völkerrechtliche Bedenken [...]. Anhaltspunkte und Massstab für die Beurteilung der Völkerrechtsmässigkeit der Unterstützung eines völkerrechtswidrigen Krieges ergeben sich aus der von der UN-Generalversammlung im Konsens beschlossenen ‹Aggressionsdefinition› (Art. 3 Buchst.f) vom 14. Dezember 1974, den Arbeiten der ‹International Law Commission› sowie aus dem völkerrechtlichen Neutralitätsrecht, das vor allem in dem V. Haager Abkommen vom 18. Oktober 1907 normiert ist, das in Deutschland seit dem 25. Oktober 1910 in Kraft ist und dessen Regelungen auch in die vom Bundesminister der Verteidigung erlassene Zentrale Dienstvorschrift (ZDv) 15/2 vom August 1992 aufgenommen worden sind.
Von den sich daraus ergebenden völkerrechtlichen Verpflichtungen wurde die Bundesrepublik Deutschland im Irak-Krieg nicht dadurch freigestellt, dass sie Mitglied der Nato war und ist, der auch die kriegführenden Staaten (USA, UK sowie weitere Mitglieder der Kriegskoalition) angehören.»

Deutschland hat nicht nur das Recht …

Mehr noch: Mit Artikel 1 des Nato-Vertrages haben sich alle Nato-Staaten verpflichtet, sich in ihren internationalen Beziehungen jeder Gewaltandrohung oder Gewaltanwendung zu enthalten, die mit den Zielen der Vereinten Nationen nicht vereinbar sind. Marcus Lippe, Redakteur bei der Zeitschrift Forum Recht, hatte schon während der Anfangsphase des Irak-Krieges geschrieben: «Genausowenig kann von einer generellen Bewegungsfreiheit der in Deutschland stationierten US-Streitkräfte die Rede sein […]. Im Zuge der Neufassung des Zusatzabkommens zum Nato-Truppenstatut 1994 (ZA-NTS 1994) ist festgelegt worden, dass die in Deutschland stationierten US-Streitkräfte grundsätzlich jeweils einer Genehmigung durch die deutsche Bundesregierung bedürfen, wenn sie mit Land-, Wasser- oder Luftfahrzeugen in die Bundesrepublik ‹einreisen oder sich in und über dem Bundesgebiet bewegen› wollen (Artikel 57 Absatz 1 Satz 1 ZA-NTS 1994). Allerdings wird diese grundsätzliche Genehmigungspflicht im gleichen Artikel teilweise wieder eingeschränkt, indem sie die im Nato-Rahmen stationierten US-Truppenteile davon ausnimmt. Wollen dagegen anderweitig in den USA stationierte US-Truppenteile mit Luftfahrzeugen etwa auf ihrem Weg in den Nahen Osten in Deutschland lediglich den deutschen Luftraum – ohne ‹Nato-Auftrag› – benutzen, bleibt es bei der grundsätzlichen Genehmigungsbedürftigkeit. […] Die Bundesregierung hätte also rechtlich durchaus die Möglichkeit, die Truppenbewegungen und Überflüge zu verhindern. Es fehlt ihr allein am politischen Willen.» (Forum Recht, Heft 2/2003)

… sondern auch die Pflicht, alles zu tun, damit kein Krieg von deutschem Boden ausgeht

Statt dessen ging und geht der politische Wille der deutschen Regierung auch über das deutsche Recht hinweg. Johannes Heinen, Regierungsdirektor an der Bundesakademie für Wehrverwaltung und Wehrtechnik in Mannheim, hatte am 12. Februar 2003 in der Zeitschrift der Bundesakademie geschrieben: «Die verbündete Entsendetruppe hat gemäss Art. II NTS [Nato-Truppenstatut] das Recht des Aufnahmestaates Deutschland zu achten. […] Die Angehörigen verbündeter Streitkräfte können sich nicht über grundlegende Rechtssätze des Aufnahmestaates hinwegsetzen.» Deutsches Verfassungsrecht ist aber die Bindung ans Völkerrecht (Artikel 25 Grundgesetz) und das Verbot und die Strafbarkeit der Vorbereitung eines Angriffskrieges (Artikel 26 Grundgesetz). Deshalb hat die deutsche Regierung nicht nur das Recht, dem US-Krieg gegen den Irak die Unterstützung zu verweigern, sondern sogar die Pflicht, alles zu tun, um zu verhindern, dass von deutschen Boden aus der Irak-Krieg vorbereitet und geführt wird. Dies gilt auch für Massnahmen gegen das bis heute wesentlich am Irak-Krieg beteiligte US-European Command (US-EUCOM) in Stuttgart-Vaihingen. Von EUCOM aus wurde und wird sämtlicher Kriegsnachschub koordiniert. EUCOM ist eine der Kommandozentralen des verbrecherischen Irak-Krieges. Wenn es mit rechten Dingen zugehen würde, müssten alle Mitarbeiter von EUCOM sofort verhaftet werden, denn durch EUCOM wurden «explizit das Grundgesetz und das Völkerrecht gebrochen». (Tobias Pflüger, Die rechtliche Situation des EUCOM in Deutschland, Informationsstelle Militarisierung e.V., 11.7.2003)

Wer dem Aggressor hilft, handelt selbst völkerrechtswidrig

Dieter Deiseroth, Richter am Bundesverwaltungsgericht, hatte schon in der «Frankfurter Rundschau» vom 11.9.2002 warnend in Richtung Bundesregierung formuliert: «Völkerrechtswidrig handelt freilich nicht nur der Aggressor, sondern auch derjenige Staat, der einem Aggressor hilft, etwa indem er auf seinem Hoheitsgebiet dessen kriegsrelevante Aktionen duldet oder gar unterstützt.»

Auf dem Weg zum Internationalen Strafgerichtshof

Auf all das sind die Gegner des Antrags, die Dauergenehmigung für Überflüge aufzuheben, mit keinem Wort eingegangen, ihr rechtswidriges Tun beziehungsweise Nichtstun in Frage zu stellen. Noch scheinen sie dazu nicht bereit zu sein.
Dass der Abgeordnete Willy Wimmer vor ein paar Wochen öffentlich geäussert hat, dass die Tornado-Piloten, die nach dem Willen der Bundesregierung nach Afghanistan gehen sollen, damit auf dem Weg zum Internationalen Strafgerichtshof nach Den Haag sind, hat allerdings manchen Abgeordneten nervös gemacht. Wie es heisst, gibt es Abgeordnete, die nachfragen, ob denn auch die Abgeordneten, die einem Tornado-Einsatz zustimmen, auf dem Weg nach Den Haag sind. Ja, das sind sie! Kein Abgeordneter wird sich auf den Fraktionszwang oder ähnliches zurückziehen können. Wer sein Ja dazu gibt, dass Deutschland sich immer mehr und immer tiefer in den Bruch des Völkerrechts verstrickt, wird sich zur Verantwortung ziehen lassen müssen. Noch herrscht diese furchtbare Gleichgültigkeit gegenüber dem Recht vor. Die Geschichte, insbesondere auch die deutsche Geschichte hat gezeigt, dass eine solche Hybris nicht ewig währen kann.

 Quelle

Kommentar hinterlassen:

Du must angemeldet sein um einen Kommentar zu schreiben.