Erhebliche verfassungsrechtliche und völkerrechtliche sowie strafrechtliche und völkerstrafrechtliche Bedenken
Deutsche Tornados nach Afghanistan?
Stellungnahme von Willy Wimmer (CDU, Neuss) im Deutschen Bundestag am 28. Februar 2007
In Abstimmung mit meinem Kollegen Dr. Peter Gauweiler darf ich zu dem hier anstehenden Tagesordnungspunkt folgendes ausführen:
Wegen erheblicher Bedenken sowohl verfassungsrechtlicher als auch völkerrechtlicher sowie strafrechtlicher und völkerstrafrechtlicher Art haben wir uns mit Schreiben vom 21. Februar 2007 an den Herrn Bundestagspräsidenten, den Herrn Kollegen Dr. Lammert, gewandt. Darin haben wir den Bundestagspräsidenten darum gebeten, die Beschlussfassung zu dem genannten Tagesordnungspunkt von der Tagesordnung aus den vorgenannten Gründen abzusetzen.
In dem Schreiben führen wir aus: «[…] für den 9. März 2007 – Vorberatung am 28. Februar 2007 – ist die Aussprache und Abstimmung über die oben genannten Beschlussvorlagen terminiert. Wir bitten Sie, die Beschlussfassung von der Tagesordnung abzusetzen, da dem von der Bundesregierung beantragten Beschluss verfassungsrechtliche und völkerrechtliche Hindernisse entgegenstehen.
Der Bundestag würde mit dem beantragten Beschluss der Regierung die Beteiligung an einer die Grenzen des Zustimmungsgesetzes überschreitenden Fortentwicklung des Nato-Vertrages ermöglichen, die ohne förmliche Vertragsänderung nach Art. 59 Abs. 2 GG nicht möglich ist. Diese Vorgehensweise würde nicht nur die Mitwirkungsrechte und Aufgaben des Bundestags als gesetzgebende Körperschaft verletzen, sondern auch die Rechte jedes einzelnen Abgeordneten auf Mitwirkung am Gesetzgebungsverfahren. Darüber hinaus würde der Bundestag mit dem beantragten Beschluss nicht nur einer Form der Kriegsführung zustimmen, die durch das Völkerrecht nicht gedeckt ist. Er würde auch – wenngleich ungewollt und unbewusst – an einer Erosion der fundamentalen Inhalte des Nato-Vertrags mitwirken.
Dazu im einzelnen:
Mit der Entscheidung, Tornados zum Einsatz nach Afghanistan zu schicken (Antrag der Bundesregierung vom 8.2.2007 – BTDrs. 16/4298), hat die Bundesregierung einen militärischen Schritt unternommen, der nicht nur aus dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan einen Kampfeinsatz macht, sondern auch eine neue und nun nicht mehr hinnehmbare Mitwirkung der Bundesregierung an einer von den USA vorangetriebenen Fortentwicklung des Völkerrechts darstellt, die weder mit der Charta der Vereinten Nationen noch mit dem Nato-Vertrag vereinbar ist. An dieser Entwicklung, die das Integrationsprogramm des Nato-Vertrages überschreitet, darf sich die Bundesrepublik Deutschland nicht beteiligen, solange nicht der Nato-Vertrag und die UN-Charta geändert worden sind. Die hier angesprochene Entwicklung ist durch folgende Umstände gekennzeichnet:
– Die USA nehmen mit ihrer Nationalen Sicherheitsstrategie (National Security Stra tegy – NSS) von 2002 für sich in Anspruch, ohne Mandat des Sicherheitsrats und ohne das Vorliegen einer Selbstverteidigungssituation im Sinne von Art. 51 SVN Präventivkriege (preemptive actions) führen zu dürfen.
– Sie haben im Falle des Irak-Kriegs von diesem Anspruch auch Gebrauch gemacht und damit einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg geführt.
– Indem die USA die Behauptung aufstellen, Präventivkriege gemäss ihrer National Security Strategy dienten der «Selbstverteidigung», geben sie dem Begriff der Selbstverteidigung einen völlig anderen Inhalt als denjenigen, der bisher mit diesem Begriff in Art. 51 SVN zum Ausdruck gebracht worden ist. Ihr Versuch, das Recht zur Führung von Präventivkriegen – jedenfalls für sich selbst – zu etablieren, ist ein Versuch, die Völkerrechtsordnung grundlegend umzugestalten.
– Art. l des Nato-Vertrages verpflichtet die Mitgliedstaaten der Nato auf die Wahrung des internationalen Friedens und auf das Gewaltverbot gemäss der Charta der Vereinten Nationen. Indem die Führungsmacht der Nato, die USA, das Recht für sich in Anspruch nimmt, Präventivkriege zu führen, gibt sie Art. l des Nato-Vertrages einen völlig anderen Inhalt.
– Da die Bundesregierung es immer noch unterlässt, gegen die völkerrechtswidrige Strategie der USA zu protestieren, und indem sie es unterlassen hat, den Irak- Krieg als völkerrechtswidrig zu bezeichnen, wirkt sie daran mit, dass Art. l Nato-Vertrag einen wesentlich anderen Inhalt erhält als er mit dem Zustimmungsgesetz zu diesem Vertrag vom Bundestag beschlossen worden war.
– Der Einsatz der Bundeswehr-Tornados in Afghanistan bedeutet notwendigerweise die Teilnahme Deutschlands an völkerrechtswidrigen und vom Nato-Vertrag nicht gedeckten Militäraktionen, denn
– die von den Bundeswehr-Tornados erfass ten Aufklärungsergebnisse werden an das amerikanische Oberkommando übermittelt; dabei ist trotz der in der Begründung der Beschlussvorlage genannten Restriktion im Isaf-Operationsplan nicht gewährleistet, dass die Aufklärungsergebnisse nicht zu anderen als den dort genannten Zwecken im Rahmen der Operation Enduring Freedom (OEF) verwendet werden;
– die Kriegführung der USA im Rahmen der OEF ist unter mehreren Aspekten völkerrechtswidrig, nämlich – sie lässt sich nicht mehr als Selbstverteidigung rechtfertigen und ist nicht auf ein Mandat des Sicherheitsrats gestützt;
– sie überschreitet bei der Art und Weise, insbesondere hinsichtlich der Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung, selbst die Ermächtigung der Regierung Karzai;
– sie ist im Hinblick auf die in Kauf genommenen sogenannten Kollateralschäden an der Zivilbevölkerung mit den völkerrechtlichen Regeln zum Schutz der Zivilbevölkerung nicht vereinbar;
– sie verstösst hinsichtlich der Behandlung von Gefangenen gegen fundamentale menschenrechtliche Grundsätze.
– Indem die Bundesregierung den Einsatz der Tornados in Afghanistan beschliesst, nimmt sie aktiv an einer Militärstrategie teil, die mit den fundamentalen Grundsätzen der UN-Charta und des Art. l des Nato-Vertrages unvereinbar ist. Auf diese Weise unterstützt sie durch aktives Handeln die von den USA betriebene stillschweigende Änderung des Vertragsinhalts.
– Da diese Änderung des Vertragsinhalts über den Rahmen des mit dem Zustimmungsgesetz festgelegten Integrationsprogramms hinausgeht, verletzt dieses Verhalten der Bundesregierung die Mitwirkungsrechte des Bundestages. Denn eine Fortentwicklung des Nato-Vertrages, die über das Integrationsprogramm hinausgeht, bedarf einer förmlichen Vertragsänderung, welche gemäss Art. 59 Abs. 2 GG nur auf der Basis eines Zustimmungsgesetzes möglich ist. Wir bitten Sie daher, die Bundesregierung aufzufordern, ihren Antrag vom 8.2.2007 (BT-Drs.16/4298) zurückzunehmen. Eine Ausdehnung des deutschen Engagements in Afghanistan ist aus den oben genannten Gründen nur möglich, wenn zuvor sichergestellt ist, dass die Nato-Führungsmacht USA sowohl mit ihren Rechtsbehauptungen als auch mit ihrer Kriegsführungspraxis auf den Boden des Völkerrechts zurückkehrt und dass der stille Bedeutungswandel von Art. l des Nato-Vortrages, der aus der Duldung der völkerrechtswidrigen Praxis der Nato-Führungsmacht durch die übrigen Nato-Staaten folgt, gestoppt wird. Der Bundestag sollte sich daher erst dann, wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, mit einem entsprechenden Antrag der Bundesregierung befassen.
Wir machen darauf aufmerksam, dass durch den beantragten Beschluss des Bundestages nicht nur ein Regierungshandeln gebilligt würde, das aus den dargelegten Gründen mit den Rechten und Pflichten des Bundestages aus Art. 59 Abs. 2 GG unvereinbar ist, sondern dass dieser Beschluss auch Rechte jedes einzelnen Abgeordneten aus Art. 38 Abs. l GG verletzen würde. Da das Handeln der Regierung mit dem Nato-Vertrag in so fundamentaler Weise unvereinbar ist, dass es nur nach Änderung dieses Vertrages zulässig wäre, werden den Abgeordneten ihre Mitwirkungs- und Mitentscheidungsrechte entzogen, wenn die Parlamentsmehrheit der Regierung für ein solches Handeln grünes Licht gibt, ohne dass zuvor eine förmliche Vertragsänderung stattgefunden hat, über welche die Abgeordneten im Verfahren der Zustimmungsgesetzgebung beraten und mit entscheiden konnten. Stünde am 9. März 2007 eine Änderung des Nato-Vertrages auf der Tagesordnung, durch welche die Nato die Führung von Präventivkriegen zu ihrer Aufgabe macht, dann wäre es klar, dass es dafür keine Mehrheit im Bundestag gäbe. Mit dem jetzt eingeschlagenen Verfahren wird eine Fortentwicklung des Nato-Vertrages vorangetrieben, die zu demselben Ergebnis führt. Diese Entwicklung ist jedoch nicht Gegenstand der Beratung und Entscheidung des Bundestages.»
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