Ist Frieden unverantwortlich?
Bundesregierung zeigt sich über die Abweisung der Klage gegen den Tornado-Einsatz erfreut.
Ein Kommentar von Martin Müller-Mertens
So schätzt die Bundesregierung wohl das Bundesverfassungsgericht. Aus formalen Gründen wiesen die Karlsruher Richter am Montag eine Klage von zwei Unions-Abgeordneten gegen den Tornado-Einsatz in Afghanistan zurück. Nur eine Fraktion hätte die Möglichkeit zur Klage, sofern sie Rechte des Bundestages berührt sieht. Die Reaktion des politischen Berlin macht aus dieser juristischen jedoch eine politische Begründung im Sinne imperialer Kriegspolitik.
Daß die Begründung der Nichtzulassung juristisch wasserdicht ist, kann an dieser Stelle nicht fachgerecht überprüft und soll daher auch nicht kommentiert werden. Politisch fraglich ist es allemal, inwieweit Klage- und andere Rechte auf Fraktionen begrenzt bleiben sollen, obgleich der Bundestag zunächst ihrem Gewissen verpflichtete Einzelabgeordnete versammelt. Hier setzt sich das Bild eines Parlaments fort, für dessen Beschreibung gelegentlich Worte wie Fraktionszwang oder auch Quatschbude fallen. Doch darüber haben die Karlsruher Richter nun einmal nicht zu entscheiden.
Im aktuellen Fall interessanter ist denn auch die Reaktion der Bundesregierung auf die Entscheidung. Sie begrüßte nicht etwa die Würdigung der Verfassung, sondern den interpretierten Freibrief zum Kriegseinsatz. Alles andere „wäre unverantwortlich gewesen“, so ein Sprecher des Auswärtigen Amtes, hätte zu einem Aufschub der Mission geführt, die dem Schutz deutscher Soldaten und der Zivilbevölkerung diene.
Nun sollen die Verfassungsrichter nicht politische „Verantwortung“ tragen, sondern die formale Verfassungsmäßigkeit einer Entscheidung, eines Vorgangs überprüfen. Die Berliner Auffassung läßt daher einen schwerwiegenden Verdacht aufkommen: „Verantwortung“ im Sinne des Erreichens eines politisch definierten Kriegsziels ist das Interesse gegenwärtiger Berliner Politik. Gerade dies sollten bisherige grundgesetzliche Regelungen ausschließen, die den Einsatz des Militärs auf den Verteidigungsfall – den eigenen, oder den enger Verbündeter – begrenzt gesehen haben. Nun interpretierte „Verantwortung“ und „Schutz“ dienen dabei nicht nur der selbst erfüllenden Prophezeiung nach einem Kriegseintritt, sie öffnen vor allem objektiv weiteren Raum für neue Kriegseinsätze. Denn zu schützen gibt es im Zweifelsfall immer etwas – und seien es die Interessen des Wirtschaftsstandorts.
Immerhin hatten es die Verantwortlichen in Berlin leicht, da ihnen formale Gründe eine nähere Auseinandersetzung mit den Klagen der beiden Abgeordneten abnahmen. Mag sein, daß sich eine Fraktion findet, die ihrerseits Verfassungsklage erhebt. Eine, deren Co-Fraktionschef selbst Volljurist ist, hat es – im Gegensatz zu den zwei Einzelabgeordneten – übrigens noch nicht getan. Sinnvoll wäre es in jedem Fall. Nicht, weil man ernsthaft glauben mag, die Kriegsausweitung ließe sich dadurch noch stoppen. Es wäre jedoch interessant, wie offen man von Seiten der Bundesregierung den politischen Willen, sich zum Kampfhund des US-Imperialismus zu machen, noch begründen will.
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