Gegen den Willen von mehr als 80 Prozent der Deutschen Bundestag beschliesst Tornado-Einsatz in Afghanistan

von Karl Müller, Deutschlandgerman-tornado-ecr-fairford-91.jpg

Mit 405 Ja-Stimmen, 157 Nein-Stimmen und 11 Enthaltungen hat der Deutsche Bundestag am 9. März beschlossen, deutsche Tornados nach Afghanistan zu schicken. Unter den Nein-Stimmen finden sich neben allen Stimmen aus der Fraktion Die Linke 5 Nein-Stimmen aus der Fraktion der CDU/CSU, 69 aus der SPD, 9 aus der FDP und 21 aus der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Diesen Abgeordneten muss man dafür danken, dass sie den Willen der Bevölkerung und die verfassungsrechtlichen Bedenken gegen einen solchen Beschluss des Bundestages ernst genommen haben.

Dass so aussergewöhnlich viele Abgeordnete nicht mehr bereit waren, den Vorgaben ihrer Parteispitzen zu folgen, macht deutlich, wie umstritten dieser Einsatz selbst innerhalb der Gruppe der Abgeordneten ist. Immerhin haben es fast ein Drittel der SPD-Abgeordneten, also einer Regierungsfraktion, mit ihrem Gewissen nicht mehr vereinbaren können, was die deutsche Regierung beantragt hat. Das ist einmalig in der deutschen Parlamentsgeschichte.
Die zwei Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion, Dr. Peter Gauweiler von der CSU und Willy Wimmer von der CDU, haben beim Bundesverfassungsgericht noch am selben Tag eine Organklage eingereicht, um den Einsatz der Tornados in Afghanistan doch noch zu verhindern.

Vertreten werden die beiden Abgeordneten von dem Ordinarius für Staats- und Völkerrecht an der Universität Freiburg im Breisgau, Professor Dr. Dietrich Murwieck. Die Klageschrift und der Antrag auf einstweillige Anordnung ist zu finden unter www.jura.uni-freiburg.der/institute/ioeffr3/forschung/papers.php.
In ihrer Klage (vgl. auch Zeit-Fragen Nr. 9 vom 5. März) verwiesen die beiden Abgeordneten auf die Gefahr, «dass Deutschland durch einen Einsatz von Tornado-Flugzeugen der Bundeswehr in die völkerrechtswidrige Kriegführung der Vereinigten Staaten in Afghanistan verstrickt würde». Die von der Bundesregierung beabsichtigte Entsendung von Tornado-Flugzeugen sei «der letzte Schritt in einer sich über mehrere Jahre erstreckenden Politik, die an einer stillschweigenden und vom Gesetzgeber nicht gewollten Änderung der Substanz des Nato-Vertrages mitwirkt». Der Tornado-Beschluss «führe zu einer stillschweigenden Änderung des Nato-Vertrags, die mit dem Völkerrecht und dem Grundgesetz unvereinbar und durch das Zustimmungsgesetz zum Nato-Vertrag von 1956 nicht gedeckt sei. Dadurch würden auch ihre Mitwirkungsrechte als Abgeordnete verletzt.» (Alle Zitate aus einer Presseerklärung der Abgeordneten Dr. Peter Gauweiler und Willy Wimmer vom 9. März)
Der Abstimmung im Bundestag war ein zunehmender und deutlicher Protest aus vielen Kreisen der Bevölkerung vorausgegangen. Dieser Protest darf auch nach der Abstimmung nicht verebben. Im Gegenteil: Noch viel deutlicher als bislang schon muss es ins öffentliche Bewusstsein dringen, dass die Menschen in Deutschland keine deutsche Kriegsbeteiligung wollen und über die Frage einer deutschen Kriegsbeteiligung allein das Volk entscheiden darf und muss, und zwar direkt per Volksentscheid.
Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion, Ludwig Stiegler, der wenig später im Bundestag dem Tornado-Einsatz zustimmte, hat in einem Interview mit dem Deutschlandfunk am Morgen des 9. März einen erhellenden Vergleich gezogen. Stiegler versuchte zu begründen, warum die SPD-Fraktion die Abstimmung ihrer Abgeordneten freigegeben hatte. Er sagte, die «Frage von Krieg und Frieden [ist] aus unserer Sicht von vornherein eine Gewissensfrage, so dass da niemand etwa das Ansinnen an jemanden gestellt hat, hier sich der Mehrheit der Fraktion anzuschliessen, sondern das ist ja so, in der Geschichte der SPD, ich erinnere an die Kriegskredite im Ersten Weltkrieg 1914, war die Frage von Krieg und Frieden immer eine Gewissensfrage, und die wird auch geachtet.»
Wenn die SPD aus der Geschichte etwas lernen würde

Man muss dabei aber wissen: Die deutsche Sozialdemokratie schien vor dem Ersten Weltkrieg ein Garant für Frieden und Widerstand gegen diesen Krieg zu sein. So hatte sich die SPD 1907 auf einem internationalen Kongress in Stuttgart verpflichtet, «den Ausbruch des Krieges durch Anwendung entsprechender Mittel zu verhindern.» August Bebel bezeichnete in einer Reichstagsrede am 9. November 1911 den Krieg als «Katastrophe»: «Hinter diesem Kriege steht der Massenbankrott, steht das Massenelend, steht die Massenarbeitslosigkeit, die grosse Hungersnot […].» Noch während der Juli-Krise, nämlich am 30. Juli 1914, publizierte die der SPD nahestehende «Norddeutsche Volksstimme» aus Bremerhaven folgende Zeilen: «Es würde ein Verbrechen an der Menschheit sein, wenn das deutsche Volk Gut und Blut für diesen frivol heraufbeschworenen Krieg opfern sollte. Die Folgen wären unübersehbar […]. Ein Weltenbrand würde entfacht werden und die Kriegsfurie ganz Europa durchlohen […].» Und weiter heisst es: «Es lebe der Friede! Es lebe die Freiheit!» Noch am 2. August 1914 glaubten viele Sozialdemokraten, dass die Ablehnung der Kriegskredite für die Mehrheit der Reichstagsfraktion selbstverständlich und zweifellos sei. Doch in der entscheidenden Abstimmung stimmten nur noch 14 Sozialdemokraten gegen die Kreditbewilligung, 78 aber dafür. Welches «Gewissen» hatten diejenigen Abgeordneten, die damals die Kriegskredite bewilligten?
Die Begründung für das Abstimmungsverhalten, die der SPD-Reichstagsabgeordnete Dr. Eduard David auf der Reichskonferenz der Sozialdemokratie 1916 abgab, zeigt die Hintergründe auf. Die Reichspropaganda hatte den Abgeordneten Sand in die Augen gestreut und die Partei für den Krieg eingestimmt: «Vom Osten her begannen sich die Millionenheere des Zaren in Bewegung zu setzen, vom Westen her die Millionenheere der mit dem Zaren verbündeten Republik, die sich mit der russischen Dampfwalze auf deutschem Boden treffen wollten […] In dieser Situation mussten wir alles tun, um unser Volk vor der schrecklich drohenden Gefahr zu schützen.» Eduard Bernsteins Erwiderung während derselben Konferenz war entlarvend und beweist, dass die politische und militärische Wirklichkeit eine andere und auch nicht unbekannt war: «Vergessen Sie nicht, dass am 1. August der deutsche Kaiser im Namen des Reiches an Russland den Krieg erklärt hatte. Der Krieg war von Deutschland und Österreich-Ungarn von vornherein vorausgesetzt.» Nicht zuletzt der blinde Bündnisautomatismus und der mangelnde Widerstand dagegen hatten in einen Weltkrieg geführt, der 20 Millionen Menschen das Leben kostete. Stoff genug, um über Deutschlands heutige Rolle und die der SPD nachzudenken und diese in Frage zu stellen.

Quelle 

Kommentar hinterlassen:

Du must angemeldet sein um einen Kommentar zu schreiben.