Die kalte Enteignung

PRIVATISIERUNG DER BAHN
Von Heiner Monheim 
Wie ist es möglich, dass sich der gigantische Milliardendeal in gespenstischer Stille vollzieht?

enteignung.jpgEnde März will die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf zur Bahnprivatisierung vorlegen. Und danach soll es dann schnell weitergehen mit dem so genannten Börsengang, also dem Verkauf von 49 Prozent des bislang öffentlichen Bahneigentums an große Anleger. Während aber in vielen anderen Bereichen Firmenverkäufe mit großen Debatten verbunden sind (etwa bei Telecom oder Siemens-BenQ), vollzieht sich die Zerschlagung der Deutschen Bahn ohne nennenswerte öffentliche oder massenmediale Kontroverse, ohne großkoalitionäres Gezerre. Wie ist diese gespenstische Stille bei einem solchen gigantischen Milliardendeal möglich?
Es ist schon erstaunlich. Alle Welt debattiert den Klimaschutz. Ein Vorschlag jagt den nächsten, und alle betreffen nur den Autoverkehr: PKW-Maut, Tempolimit, KFZ-Steuer-Transfer in die Mineralölsteuer mit entsprechender Erhöhung der Mineralölsteuer, Flottengrenzwerte für die Autohersteller, verschärfte CO2-Grenzwerte für PKW. Doch über das Possenstück aus dem Tollhaus klima- und verkehrspolitischer Ignoranz, die Zerschlagung der Bahn, spricht kaum jemand. Dabei steht hier ein großes Desaster unmittelbar bevor, wenn ein total eingelullter Bundestag Bahnchef Mehdorns Strategie, den Konzern globalen Kapitalinteressen preiszugeben, absegnet und sich der Bund aus seiner verkehrs- und klimapolitischen Verantwortung für einen modernen Schienenverkehr verabschiedet. Wo sind die Leitartikel der Zeitungen? Wo sind die Proteste der Gewerkschaften und der Bahnbeschäftigten? Wo ist die großkoalitionäre Kontroverse? Die Deutsche Bahn AG wird abgewickelt und niemanden stört das.

Verwahrlostes Streckennetz

Ein paar Indizien lassen ahnen, wie schnell und gründlich die Deutsche Bahn demnächst auseinandergenommen und runtergefahren wird, um die Kapital- und Renditeinteressen der Großanleger (vorzugsweise genannt werden als Interessenten Gazprom, arabische Kapitalgesellschaften, große amerikanische Invest- und Immobilienfonds) zu befriedigen. Denn deren Renditeerwartungen liegen um ein Mehrfaches über den bisherigen Gewinnmargen der DB. Um solche Gewinnerwartungen zu bedienen, muss die Bahn radikal verändert werden. Und diesen Umbau vollzieht Bahnchef Mehdorn nun schon seit Beginn seiner Amtszeit konsequent und nahezu ungehemmt. Die Kernstrategie lautet: die Börsenbahn muss schlank und effizient werden. Das klingt gut, wenn es um ein x-beliebiges Unternehmen, nicht aber, wenn es um das zentrale Instrument der Mobilitäts- und Klimapolitik geht. Denn schlank im Sinne Mehdorns heißt: das Netz verkleinern, massiv Personal abbauen, den Service runterfahren und die Preise bis an die Schmerzgrenze anheben. Für raumordnungspolitische und verkehrspolitische, klimapolitische und sozialpolitische Zielsetzungen, für eine Bahn für Alle, ist da kein Platz mehr.

Die Länder, Regionen und Städte werden sich noch wundern, wenn sie nur noch mit “knallharten Profitmaximierern” konfrontiert werden, denen die Verkehrsentwicklung egal, die Bilanz aber heilig ist. Für diesen (Sch)Rumpfbahnkurs gibt es viele Vorboten: Seit der Bahnreform wurden jährlich 500 Kilometer Schienenstrecke stillgelegt. Bahnintern stehen weitere 6.000 Kilometer Netz auf dem Prüfstand. Der Inter Regio wurde trotz seines großen Erfolgs (68 Millionen Fahrgäste pro Jahr) kaputtgefahren und verschrottet, um die Länder fiskalisch zu erpressen und dem wesentlich teureren ICE neue Zwangsfahrgäste zuzuführen. Viele Mittelzentren und inzwischen auch immer mehr Oberzentren haben keinen Anschluss mehr an den Fernverkehr. Zwei Drittel aller Firmengleisanschlüsse wurden vom Netz abgehängt. Damit sind regionale Güterbahnverkehre fast völlig verschwunden, die Güterbahn bedient nur noch die Hauptachsen über die großen Distanzen und überlässt den Rest kampflos der Straße. 6.000 Bahnhöfe wurden schon geschlossen, jetzt sollen noch mal 1.500 Bahnhöfe verkauft werden. Damit verliert die Bahn den Anschluss an ihre Kunden.

Die Bahn konzentriert ihre Investitionen auf wenige Großprojekte des Hochgeschwindigkeitsverkehrs und auf Bahnhofsgroßprojekte der wie das unsinnige und unbezahlbare “Stuttgart 21″. Im sonstigen Netz verfolgt die DB eine brutale Desinvestitionsstrategie: sie reißt endlos Weichen und Ãœberholgleise raus, was unmittelbar die Netzkapazität und Flexibilität beschädigt. Und sie unterlässt die notwendigen, regelmäßigen Unterhaltungs- und Modernisierungsinvestitionen im Streckennetz und in die verbliebenen Bahnhöfe. Dadurch müssen immer mehr Langsamfahrstellen eingerichtet werden, teilweise sind sogar temporäre Streckensperrungen notwendig. Angesichts solcher Prozesse sind natürlich Betriebssicherheit und Pünktlichkeit immer mehr gefährdet. Der Bundesrechnungshof beklagt die massive Vernachlässigung der Unterhaltung des Schienennetzes durch die DB AG. Wie kann es sein, dass Europas größtes Schienenverkehrsunternehmen - unter den “schlafenden Augen der Verkehrspolitik” - seit Jahren systematisch die notwendigen Unterhaltungs- und Modernisierungsinvestitionen unterlässt? Nun, ganz einfach. Auf diese Weise soll die Bilanz geschönt werden und der Bund, der derzeit noch weitgehend für die Neu-, Ausbau- und Erneuerungsinvestitionen aufkommen muss, geschröpft werden.

Kostbare Liegenschaften

Der dramatische Personalabbau (200.000 Mitarbeiter seit der Bahnreform) ging erstaunlicher Weise ohne jedes öffentliche Getöse vonstatten. Die größte Bahngewerkschaft, Transnet, ist von Bahnchef Mehdorn durch eine Männerfreundschaft mit Gewerkschaftsboss Hansen komplett eingewickelt worden. Erst in letzter Minute beginnt endlich auch die gewerkschaftliche Privatisierungskritik, allerdings nicht von Transnet, sondern von Ver.di und IG Metall. Doch die schlechte Qualität des Bahnsystems und der geringe Verkehrsmarkterfolg schrecken die Kapitalinteressenten kaum ab. Denn ihnen geht es ja vor allem um das “Ausschlachten”, das “Kahlfressen”, wie es der damalige SPD-Chef Müntefering im Heuscheckenbild der Hedge-Fonds genannt hatte. Um hohe Renditen zu erzielen, bieten zunächst einmal die kostbaren Liegenschaften der Bahn viele Anreize. Die Bahn ist immerhin größter Grundeigentümer Deutschlands, vorzugsweise mit attraktiven Liegenschaften in zentraler Lage rund um die Großstadtbahnhöfe. Das verspricht viele spekulative Gewinne aus diesem Geschäft. Darum reagiert Herr Mehdorn so genervt, wenn die freie Verfügung der Bahn über ihre Liegenschaften gesetzlich beschränkt werden soll und wenn einzelne Städte argumentieren, sie hätten beim Ausbau der Bahnen zwischen 1850 und 1920 die betreffenden Liegenschaften den Rechtsvorgängern der Deutschen Bahn nur deshalb unentgeltlich überlassen, weil die Bahn bindende Verpflichtungen eingegangen sei, dort Schienenverkehr zu betreiben. Jedenfalls lässt die Immobilienstrategie der Bahn für kommunale Interessen einer behutsamen, geordneten Stadtentwicklung wenig Platz.

Was angesichts dieser nun schon lange ablaufenden Negativentwicklung unbegreiflich ist, ist das Ausbleiben einer breiten politischen Diskussion. Kenner des Innenlebens der Parteien wissen sehr gut, dass die sogenannte Basis große Bauchschmerzen mit Mehdorns und Tiefensees Börsenplänen hat. Allerdings wird die gar nicht gefragt. Angesichts der Kompliziertheit der Materie hat das “Fußvolk” in den Parteien längst resigniert, den Ãœberblick verloren und das Entscheiden den wenigen Insidern überlassen, die das Ganze noch halbwegs durchschauen. Eine breite Diskussion des “ob” des Börsengangs unterblieb aber auch wegen eines grundlegenden Irrtums. Das Fußvolk meint, die Grundsatzentscheidung pro Börsengang sei bereits gefallen. Das ist falsch. Nach wie vor hat das Parlament und haben vor allem auch die Länder alle Möglichkeiten, den Börsengang zu verhindern.

Heiner Monheim, Verkehrsplaner und Verkehrsforscher lehrt an der Universität Trier (erreichbar unter heinermonheim@yahoo.de). Buch zum Thema:Die Zukunft der Bahn zwischen Bürgernähe und Börsengang, hg. Heiner Monheim/ Klaus Nagorsni, Karlsruhe 2004

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