Deutsche Tornados für Afghanistan

von Dr. Heinz Loquai, Brigadegeneral a. D., Meckenheim

kosovo_rel_92.jpgAm 9. März stimmte der deutsche Bundestag einem Antrag der Bundesregierung zu, der eine Verlegung einer Kampfgruppe von Tornado-Aufklärungsflugzeugen nach Afghanistan und eine Beteiligung dieses deutschen Kontingents am Krieg in Afghanistan zum Ziel hat. Es war nicht anders zu erwarten, als dass das deutsche Parlament mit deutlicher Mehrheit diesem Vorhaben der Regierung zustimmen würde. Wie bei anderen Kriegseinsätzen der Bundeswehr stand die Zustimmung des Parlaments auch für diesen Kampfeinsatz nicht in Frage. Politisch interessant erschien vor allem das Ausmass der Mehrheit.

Wenn es um Auslandeinsätze der Bundeswehr geht, ist das deutsche Parlament ein verlässlicher Partner der Bundesregierung. «Im Ausland zu Hause» titelt der «Bonner Generalanzeiger» am 24. Februar. Die «Zukunft der Bundeswehr» liege im Ausland, sie rücke weltweit aus, «um die globalen Interessen der Mittelmacht Deutschland zu schützen», meint der Verfasser Holger Möhle. Das scheint – kurz gefasst – heute das Leitmotiv deutscher Aussen- und Sicherheitspolitik quer durch den grössten Teil der deutschen Medien- und Parteienlandschaft zu sein.
Dies wird der zweite Kriegseinsatz der bundesdeutschen Luftwaffe werden. Acht Jahre ist es her, seit die Luftwaffe sich mit Flugzeugen zur bewaffneten Aufklärung am Nato-Krieg gegen Jugoslawien beteiligte – der erste Kriegseinsatz deutscher Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg. Gibt es zwischen der damaligen Entscheidungssituation und heute Parallelen? Zeigt sich daran schliesslich auch eine Art Kontinuität deutscher Politik, nicht zuletzt im Umgang mit der deutschen Öffentlichkeit?
Die FDP hat vor kurzem eine «unzulängliche und unehrliche Informationspolitik der Bundesregierung, besonders Verteidigungsministers Jung (CDU) beanstandet». («Frankfurter Allgemeine Zeitung» vom 8. März) In der Tat, Jung hat versucht, den Einsatz der Bundeswehr klein zu reden. Er vertrat die Auffassung, die deutschen Tornados betrieben «nur» Aufklärung, dies sei kein Kampfeinsatz. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Struck stellte klar, dass es sich hier um einen Kampfeinsatz handle. Denn jeder, der nicht bar jeden militärischen Sachverstandes ist, weiss, dass die deutschen Aufklärer beim Kriegseinsatz in Afghanistan Zielinformationen für die Jagdbomber anderer Nato-Staaten liefern werden. Sie sind ein integraler Bestandteil der Luftkriegsführung der Nato in Afghanistan und sind für deren Folgen mitverantwortlich. Die bei Luftangriffen der USA getöteten Zivilpersonen gehen nun auch mit auf das deutsche Schuldkonto. Deutsche Piloten können so rasch mitschuldig werden. Die militärischen Vorgesetzten bis hoch zum Minister sollten dies nicht auf die leichte Schulter nehmen.
In der Sitzung des Bundestags am 9. März bemängelte vor allem Frau Künast (Die Grünen) die Informationspolitik der Bundesregierung, die nur wenig getan habe, den Einsatz zu erklären. «So wenig Information war noch nie», so das Fazit der ehemaligen Ministerin. Und die «Süddeutsche Zeitung» kritisiert, die Regierung habe in dieser Sitzung geschwiegen. Die «Abstinenz der Regierung» habe «den fatalen Eindruck» erweckt, «hier ginge es um eine Routineangelegenheit, die sich mal so eben im Vorbeigehen erledigen liesse.»
Auch im Vorfeld des Nato-Krieges gegen Jugoslawien wurden der Bundestag und die deutsche Öffentlichkeit vielfach fehlinformiert, getäuscht und belogen. Die Sitzung des Bundestages am 16. Oktober 1998, die eine deutsche Kriegsbeteiligung mandatierte, war geradezu ein Forum für Desinformation. Hier nur ein Beispiel: Proklamiertes Ziel der Kriegsvorbereitung der Nato war die «Abwendung einer humanitären Katastrophe» in Kosovo. Durch diplomatische Bemühungen und den Abzug jugoslawischer Truppen hatte sich die Lage vor Ort tatsächlich schon entspannt. Die Berichterstattung der deutschen Botschaft in Belgrad machte dies deutlich. Der damalige Aussenminister Klaus Kinkel verkündete jedoch im Bundestag, die Lage habe sich «dramatisch verschlechtert». Bei den massgeblichen Stellen der Bundesregierung, insbesondere im Verteidigungsministerium und Auswärtigen Amt, waren zutreffende, aktuelle Informationen über die Lage in Kosovo vorhanden, sie wurden jedoch dem Bundestag und der Öffentlichkeit vorenthalten. Die dem Parlament gegebenen Informationen waren insgesamt unzureichend für eine Entscheidung über Krieg und Frieden.

Die politische Geringschätzung des Völkerrechts

Für den Krieg gegen Jugoslawien gab es kein Mandat des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Dieser Krieg war auch nicht mit Selbstverteidigung zu rechtfertigen, denn Jugoslawien hatte kein Nato-Land angegriffen. Nach der bis dahin allgemein üblichen völkerrechtlichen Beurteilung handelte es sich um einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Nato. Der damalige deutsche Justizminister Edzard Schmidt-Jortzig hatte gerade diese Auffassung bei den Beratungen im Kabinett vertreten und war der Abstimmung im Bundestag ferngeblieben. Das Plenum des Bundestags und die Öffentlichkeit erfuhren von dieser Einschätzung des zuständigen Fachministers natürlich nichts. Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt bezeichnete den Krieg als vierfachen Rechtsbruch: der Charta der Vereinten Nationen, des Nato-Vertrags, des Zwei-Plus-Vier-Vertrags und des deutschen Grundgesetzes.
Auch in der Debatte am 9. März 2007 spielten juristische Fragen kaum eine Rolle. Die angekündigte Verfassungsklage der Abgeordneten Gauweiler (CSU) und Wimmer (CDU) wurde lediglich von der Linkspartei thematisiert. Doch bezeichnend ist die Medienkampagne der «Frankfurter Allgemeine Zeitung» gegen die «Abweichler». Die beiden Unionsabgeordneten werden als «Persönlichkeiten mit notorischem Hang zum Abweichen» diffamiert. («Frankfurter Allgemeine Zeitung», 10. März) Das mediale Sperrfeuer aus den Frankfurter Redaktionsstuben trifft natürlich auch die Linkspartei. Die SPD leide «sichtbar unter dem gnadenlosen Popu lismus der Linkspartei». Die Abgeordneten der Linkspartei seien «notorische Neinsager» und «fundamentalistische Gegner». Man gewinnt den Eindruck, der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» wären «volksdemokratische Mehrheiten» von nahe 100 Prozent am liebsten, wenn es um Kriegseinsätze der Bundeswehr geht. Ein positives Beispiel ist allerdings die «Süddeutsche Zeitung», die über wichtige Argumente der Verfassungsklage der beiden Abgeordneten informiert (vgl. auch Zeit-Fragen, 5. März) und auch darauf hinweist, dass der 57 Seiten lange Schriftsatz der Klage von dem versierten Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek stammt, dem Direktor des Instituts für Öffentliches Recht an der Universität Freiburg («Süddeutsche Zeitung», 10. März).

Legitimator «Bündnissolidarität»

Der Hinweis auf die Bündnissolidarität ist heute ein «Pflichttor» bei jeder Debatte um Auslandeinsätze der Bundeswehr. Dem nahe steht das Argument, das grösser gewordene Deutschland müsse seiner gewachsenen internationalen Verantwortung gerecht werden. Dem könne sich die deutsche Politik nicht entziehen. Nun gibt es durchaus «bestellte Anforderungen» aus dem internationalen Bereich. «Innerhalb der Bundeswehr drängelt die Luftwaffe schon lange …» («Frankfurter Allgemeine Zeitung», 5. Januar) für den Einsatz ihrer Tornados in Afghanistan. Ein Arrangement zwischen höchstrangigen Luftwaffengeneralen und ihren angelsächsischen Kollegen hat wohl die «Nato-Anfrage» nach deutschen Aufklärungs-Tornados in Gang gesetzt. Die Bundesregierung glaubte offenbar durch eine positive Antwort auf diese Anfrage, weitergehende Anforderungen aus dem Bündnis für den afghanistanweiten Einsatz zusätzlicher deutscher Bodentruppen abwehren zu können. In der Bundestagssitzung vom 9. März zerstörte der CDU-Abgeordnete von Klaeden diese Illusion. Der aussenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion stellte fest: «Als Bündnispartner müssen wir bereit sein, nicht nur dieselben Lasten zu tragen, sondern auch dieselben Risiken.» («Frankfurter Allgemeine Zeitung», 10. März) In den Medien liest sich das so: «Wer also deutsche Tornados in Afghanistan überall hinschickt, kann Bodentruppen für den Süden nicht verweigern.» («Süddeutsche Zeitung», 17. Februar)
Aus deutschen Regierungskreisen wird argumentiert, die Aufklärungsergebnisse der deutschen Tornados kämen vor allem der von der Nato geführten Stabilisierungstruppe zugute und würden «nur eingeschränkt und kontrolliert» an die von den USA geführte Operation «Enduring Freedom» weitergegeben. Dies ist politische Augenwischerei. Beide Operationen sind allmählich in kleinen Schritten aufeinander abgestimmt und in einem Hauptquartier zusammengeführt worden. Die Ausdehnung auf ganz Afghanistan, so der Experte Lothar Rühl, «hat jenseits der juristischen Feinheiten alle beteiligten Verbündeten faktisch zu Kriegsparteien gemacht». («Frankfurter Allgemeine Zeitung», 30. Oktober 2006) Selbstverständlich werden Aufklärungsergebnisse der deutschen Tornados den Einsatzplanern anderer Nato-Länder für die Zielauswahl zur Verfügung gestellt. Alles andere ist Täuschung der Öffentlichkeit.
Blicken wir zurück. Auch in der Debatte im Herbst 1998 über den Krieg gegen Jugoslawien spielte das Argument der Bündnissolidarität eine überragende Rolle. Die neue rot-grüne Regierung schien sich geradezu auf dem internationalen Prüfstand ihrer Bündnisfähigkeit und -solidarität zu sehen. Aussenminister Kinkel vor dem Bundestag: «Es geht schliesslich um die europäische Friedensverantwortung und um unsere Verlässlichkeit im Bündnis.» Kinkel forderte auch: «Wir dürfen nicht auf eine schiefe Bahn kommen, was das Gewaltmonopol des Sicherheitsrats anbelangt.» Die inzwischen eingetretene Vernachlässigung des Völkerrechts und des Gewaltmonopols der Uno auch in der deutschen Sicherheitspolitik zeigen, welche längerfristigen Wirkungen der Präzedenzfall «Kosovo-Krieg» hatte und wie weit man auf der «schiefen Ebene» hinabgeglitten ist.

Relativierung des Holocaust

Ein Blick auf die politischen Debatten über die Kriegseinsätze deutscher Tornado-Aufklärungsflugzeuge 1998/1999 und 2007 zeigt Parallelen in der politischen Argumentation.
Einmalig in der jüngeren deutschen Geschichte ist jedoch, was sich zwei deutsche Bundesminister bei der Legitimation des Krieges gegen Jugoslawien leisteten. Doch lassen wir hierzu einen Überlebenden von Auschwitz zu Wort kommen. Die «Frankfurter Allgemeine Zeitung» dokumentierte am 27. Januar eine Rede von Arno Lustiger bei einer Gedenkveranstaltung des Hessischen Landtags für die Opfer des Nationalsozialismus. Lustiger sagte unter anderem: «Seit dem 24. März 1999 bombardierte die Nato Jugoslawien unter der Mitwirkung der Bundeswehr in einem von den UN nicht sanktionierten Krieg. Ziel war, die Bewohner Kosovos zu schützen. Bei einem Bundeswehrbesuch sagte Verteidigungsminister Scharping: ‹Die Bundeswehr operiert in Kosovo, um ein neues Auschwitz zu verhindern.› Am 7. April 1999 erklärte Aussenminister Fischer: ‹Ich habe nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg. Ich habe auch gelernt: Nie wieder Auschwitz.› Die Opfer der Nazis mussten die Parallelisierung Kosovo – Auschwitz als eine neue Art der Auschwitz-Lüge betrachten, denn dies ist die Leugnung der Einmaligkeit des Verbrechens und des mit Auschwitz verbundenen Zivilisationsbruches. Es war eine Funktionalisierung und Instrumentalisierung von Auschwitz für anderweitige Zwecke.»
Deutsche Bundesminister als Relativierer, als Funktionalisierer und Instrumentalisierer des Holocaust zur Legitimierung einer deutschen Kriegsbeteiligung – dies blieb Deutschland zumindest bei der politischen Argumentation für den zweiten Kriegseinsatz von Tornado-Aufklärungsflugzeugen erspart.

Quelle

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