Brauchen wir ein neues Sozialsystem
Zu unserem Beitrag vom 30.4. über den TAZ-Artikel “Brauchen wir ein neues Sozialsystem†von Hannes Koch und Katharina Koufen liefert Dieter Staadt einige interessante ergänzende Fakten. Albrecht Müler.
Der Taz-Artikel ist ein gutes Beispiel dafür, wie manche Anhänger des bedingungslosen Mindesteinkommens mit den Fakten jonglieren und die materiellen Auswirkungen schönrechnen, um das Modell populär zu machen.
Thüringens Ministerpräsident Althaus fordert mitnichten ein Grundeinkommen von 800 Euro, wie in dem Artikel dargestellt.
Er ist für 600 Euro zuzüglich einer Kopfpauschale für die Gesundheitsversorgung von 200 Euro.
Zwar sollen alle Sozialbeiträge abgeschafft werden - im Gegenzug soll aber die Lohnsteuer für alle Einkommen über 600 Euro auf sage und schreibe 50 Prozent erhöht werden. Das ist notwendig, um das Modell zu finanzieren.
Für etwas Besserverdienende mit mehr als 2500 Euro Einkommen wird angeboten, die Lohnsteuer auf 25 Prozent zu senken. Dafür wird das Grundeinkommen für diese Gruppe auf 200 Euro gesenkt.
Das Althaus-Modell ist im Grunde eine Abwandlung der Kirchhof-Flatrate kombiniert mit der CDU-Kopfpauschale.
Niemand aus der in dem taz-Artikel beklagten Gruppe der Arbeitslosen, der Prekarisierten und Verarmten hätte etwas von diesem Modell.
Die Gründe:
Der sogenannte, eh schon sehr niedrige Grundsicherungsbedarf für Alleinlebende liegt heute bereits bei etwa 680 Euro. Bei Millionen wird er durch ALG II plus Wohngeld gedeckt.
Das durchschnittlich ausgezahlte Arbeitslosengeld I lag 2005 bei 770 Euro.
Die durchschnittlich ausgezahlte Rente der gesetzlichen Altersversicherung betrug 2005 etwa 930 Euro.
Bei all diesen drei zentralen Elementen unseres bisherigen Sozialsystems liegen die 600 Euro von Althaus noch darunter.
Wer dies als fortschrittliches Zukunftsmodell gegen Verarmung propagiert, ist entweder ahnungslos oder braucht viel Chuzpe.
Wer sind die Profiteure des Modells?
Die gesetzliche Arbeitslosen-, Gesundheits- und Altersversorgung wird heute zum größten Teil paritätisch (in der Regel zu etwa jeweils 50 Prozent) von Arbeitgebern und Arbeitnehmern finanziert.
Das bedingungslose Grundeinkommen soll nach dem Willen seiner Anhänger dagegen ausschließlich aus Steuermitteln (durch wahlweise oder kombiniert drastisch höhere Einkommens- und/oder Mehrwertsteuer) finanziert werden.
Die einzigen, die davon unter dem Strich profitieren, wären die Arbeitgeber und Unternehmen, weil sie komplett ihren Anteil an den heutigen Sozialversicherungsbeiträgen sparen würden und keine Lohn- und Mehrwertsteuer zahlen.
Im Gegenzug müssten Beschäftigte und Verbraucher deutlich höhere Steuern zahlen, um das Geschenk an die Arbeitgeber zu finanzieren (bei manchen Modellen wäre ein Mehrwertsteuersatz von 40 Prozent oder mehr notwendig, um die Abschaffung der Sozialbeiträge zu kompensieren).
Deshalb: Das bedingungslose Grundeinkommen ist kein fortschrittliches sozialpolitisches Modell. Es würde vielmehr die Sozialleistungen noch mehr absenken und ausschließlich die Arbeitgeber entlasten.
Wer wirklich etwas gegen Prekarisierung tun will, der sollte sich für einen angemessenen Mindestlohn, eine ordentliche Grundsicherung, eine Aufstockung des ALG II sowie mehr Schutzrechte für Beschäftigte engagieren.
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