Was bedeutet der Sieg Sarkozys?
von Doug Ireland DIRELAND / ZNet
Die französische Linke hat zum dritten Mal in Folge eine Präsidentschaftswahl verloren. Der heutige Sieger, Nicolas Sarkozy, wurde mit einer komfortablen Mehrheit von 53,7% gewählt. Die Umfragen vor der Wahl wurden somit bestätigt. Seine Konkurrentin, die Sozialistin Segolene Royal, erhielt, laut letzten Wählerbefragungen (exit polls), 46,3% der Stimmen. Die Wahlbeteiligung der französischen Wähler/innen war mit 86% überwältigend hoch. Diese Mehrheit beschert dem autokratisch-demagogischen und massiv rechtsnationalistischen Sarkozy einen eindeutigen Triumph. Sein Wahlversprechen lautet, er werde die französische Mischökonomie und den französischen Sozialstaat “zerreißen”. Der französische Sozialstaat gilt als einer der ausgeprägtesten in Europa.
In der Halle, in der Sarkozy nach Abschluss der Wahlumfragen seinen Sieg verkündete, stimmte die versammelte Menge mehrmals die Nationalhymne ‘La Marseillaise’ an. Darin kommt die berüchtigte fremdenfeindliche Zeile vor: “Marchons, marchons! Qu’un sang impur abreuve nos sillons!” (Marschiert, marschiert! Unreines Blut soll unsere Ackerfurchen tränken). Sarkozys Wahlkampf war geprägt durch ständige rassistische Appelle, durch ständige Appelle an die Angst der Menschen vor Immigranten. Symbolisch, dass Sarkozy den Le-Pen-Slogan “Frankreich - lieb es oder verlass’ es” übernommen hat. Le Pen ist der Führer der französischen Neofaschisten. Sarkozys Vorschlag zur Schaffung eines ‘Ministeriums für Immigration und Nationale Identität’ ist ein weiteres solches Symbol. Weite Kreise der Linken und antirassistische Gruppen kritisierten den Vorschlag. Die Verbindung beider Konzepte lege den Schluss nahe, dass es einen fundamentalen Widerspruch zwischen Immigration und nationaler Identität gäbe.
Die Wahlkampfstrategie Nicolas Sarkozys - in Frankreich “Sarko” genannt -, basierte auf einem Appell an die Wählerschaft Le Pens und der Front National. Bei den Präsidentschaftswahlen 2002 hatte Le Pen den Sozialisten den Rang abgelaufen. Damals hieß der Sieger Jacques Chirac. Der Rechtsruck einer signifikanten Zahl linker Wähler, der sich bereits vor fünf Jahren abzeichnete, hat sich in der heutigen Wahl bestätigt. Zudem entschieden sich mehr als zwei Drittel der Le-Pen-Wähler für Sakozy. Das ergaben die letzten Umfragen (exit polls). Viele dieser Wähler/innen stammen aus den einstmals kommunistisch dominierten Arbeitervorstädten.
Die französische Wochenzeitung ‘Le Canard Enchaine’ verfügt über den besten politischen Insider-Tratsch. Schon vor einigen Wochen berichtete das Blatt, Sarkozy sei sich seines Sieges so gewiss, dass er bereits über eine Langzeitstrategie diskutiere, die es ihm ermögliche, an der Macht zu bleiben. Für seine zweite Amtszeit, so Le Canard, plane Sarkozy die Integration der Front National in seine Regierungspartei UMP. Damit wäre Frankreichs harte Rechte und die extreme neofaschistische Rechte in einer Allianz vereint. Es wäre die Kopie von Silvio Berlusconis Verbindung mit Gianfranco Finis “postfaschistischer” ‘Alleanza Natrionale’ in Italien. Fini wurde damals Berlusconis Vizekanzler.
In ersten Kommentaren zu seinem Sieg - wenige Minuten, nachdem das Fernsehen ihn zum Wahlsieger erklärt hatte -, versprach Sarkozy der jubelnden Anhängerschaft: “Das amerikanische Volk kann auf unsere Freundschaft zählen”, der Krieg gegen den Terror sei “von primärer Wichtigkeit in der Welt, ein Kampf, der”, unter seiner Führerschaft, “auch unser Kampf sein wird”. (In der französischen Presse wird Sakozy immer wieder “Sarko, der Amerikaner” genannt - in Anspielung auf Sarkos Sympathien für Bush und für seine aggressiv atlantische Haltung. Präsident Bush habe Sarkozy schon wenige Minuten nach Schließung der Wahllokale angerufen, um zu gratulieren, so ein Report des öffentlichen TV-Senders France 2.
Die wirkliche Bedeutung des Sieges von Nicolas Sarkozy liegt wohl eher auf der Ebene der “Reagan-Revolution”. Diese startete 1981 in den USA einen Prozess der Zerschlagung und Vernichtung der institutionalisierten New-Deal-Gesetzgebung von Franklin D. Roosevelt. Chirac war ein Gaullist. In ökonomischer Hinsicht bestand das politische Vermächtnis General De Gaulles (der Frankreich zwischen 1958 und 1969 regierte) unter anderem in einer enorm statischen Haltung und in der Verteidigung einer weiten Bandbreite von Maßnahmen der sozialen Absicherung und der Verteidigung des sozialen Sicherheitsnetzes. Eingeführt Mitte der 30ger Jahre durch die linke Volksfront-Regierung wurden diese Maßnahmen von den französischen Nachkriegsregierungen - in denen noch die politischen Aktivisten der ‘Resistance’ (der Widerstandsbewegung gegen die NS-Besatzung) dominierten -, erneuert und ausgeweitet. Die Regierung als Garant der wirtschaftlichen Absicherung aller, hieß deren Konzept. Sarkozy gehört nicht mehr zur Generation Jacques Chiracs, er gehört zu einer neuen Generation. Ideologisch ist Sarkozy kein Gaullist. Er tendiert eher zu den Lehren der “Chicagoer Schule” für Ökonomie, an deren Spitze Milton Friedman stand. Diese glaubte an die “minimale Regierung”, an den zusammengestutzten Staat, der sich so wenig wie möglich in die Wirtschaft einmischt. Ein solch aggressiver Laissez-faire-Ansatz klingt süß in den Ohren der Wirtschaftsbarone des MEDEF (französischer Unternehmerverband). Die Topgrößen des MEDEF standen fest hinter Sarkozys Kandidatur. Sarkozy hat bereits versprochen, die ISF (Vermögenssteuer) abzuschaffen sowie zusätzliche Steuererleichterungen für Großunternehmen und die obere Mittelschicht einzuführen und weitere Einschnitte im staatlichen Gesundheitswesen durchzuführen. Das französische Gesundheitswesen wird übrigens in einer UNO-Studie als eines der besten der Welt bezeichnet (hinsichtlich Bereitstellung gesundheitlicher Dienstleistungen und Qualität der Pflege). Sarkozys Wirtschaftsprogramm will den ohnehin privilegierten Klassen dazu verhelfen, ihre sozioökonomische Stellung zu behalten und auszubauen. Verlierer werden die Habenichtse sein (Sarkozys massiver Stimmenzugewinn in den einkommensstarken Vierteln beweist, dass diese Leute die an sie gerichtete Botschaft begriffen haben). Zudem verspricht Sarkozy ein Zusammenstreichen der öffentlichen Dienstleistungen bei den staatlichen Behörden.
Sarkozy ist ein versierter Demagoge. Zunächst versuchte er, den Eindruck eines “Konservativen mit Herz” zu vermitteln (wie damals George Bush in seiner ersten Präsidentschaftskampagne). Sarkozys “Mitleid” ist rein rhetorischer Natur. Seine konkrete wirtschaftliche Ausrichtung wird den Graben zwischen Besitzenden und Besitzlosen weiter vertiefen. Jacques Chirac hat in seiner Kampagne zur Wiederwahl 1995 einen berühmten Ausdruck geprägt: Er sprach von einem “sozialen Bruch”. Dieser Bruch wird weiter splittern.
Unter Sarkozy wird das Leben der Habenichtse noch schwieriger werden. Sarkosy will eine extrem rechtsgerichtete Law-and-order-Gesellschaft, die gegen Immigranten ist. Er kündigt “null Toleranz” gegenüber illegaler Immigration an. Schon während seiner beiden Amtszeiten als Innenminister hat er Zehntausende Immigranten deportieren lassen. Er hat Familien auseinandergerissen und es Menschen gleichzeitig erschwert, die französische Staatsbürgerschaft zu erlangen. Sarkozy führte harte Mindeststrafen für alle möglichen Verbrechen ein - und hat so den französischen Richtern allen Spielraum genommen. Die ohnehin überfüllten französischen Gefängnisse werden demnächst überquellen. Zusätzliche Kreise der Bevölkerung, jüngere Kreise, werden im Knast landen. Die französischen Gefängnisse sind Trainingslager des Verbrechens - wie unsere Gefängnisse auch. Indem Sarkozy immer mehr junge Leute wegen geringfügiger Vergehen einsitzen lässt, schafft er neue Generationen von harten Voyous (Gauner). Ich war 1986 in Paris, als die Parlamentswahlen stattfanden, durch die Jacques Chirac zum erstenmal Premierminister wurde. Am Tag nach der Wahl legte die französische Polizei auf der Straße eine offen feindselige und ganz neue aggressive Haltung gegenüber nichtweißen Menschen an den Tag. Sie fühlte sich durch den Sieg der Rechten offensichtlich von der Leine gelassen. Freunde berichteten mir vor zwei Wochen Vergleichbares, nachdem Sarkozy in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen so massiv in Führung ging. Nun ist er gewählt, und es ist davon auszugehen, dass die Staatsgewalt glaubt, keinerlei Rücksicht mehr nehmen zu müssen. Für Araber und Schwarze wird es noch ungemütlicher werden in Frankreich. (Erinnern Sie sich an Sarkozys repressives Harliner-Programm während der Getto-Unruhen gegen Rassismus, Ausgrenzung und Arbeitslosigkeit im Oktober 2005? Ganz Frankreich stand damals in Flammen.)
Sarkozy hasst die Linke. Zum Teil rührt das daher, dass die ungarischen Kommunisten 1944 das Schloss seiner aristokratischen Familie niederbrannten (so dass die Familie nach Frankreich emigrierte). In einer seiner wichtigsten Wahlkampfreden, wenige Tage vor der Wahl, sprach Sarkozy geschlagene 20 Minuten über die Studenten- und Arbeiterproteste vom Mai 1968 und verdammte diese mit Vehemenz (er selbst war damals erst 14). Das Erbe des Mai ‘68, so donnerte Sarko, gehöre “liquidiert”, es sei schuld an der weitverbreiteten “laxen Haltung”. So habe sich Frankreich zu einem Land entwickelt, “in dem Arbeit keinen Wert mehr hat, in dem Leute denken, sie können alles tun, was ihnen beliebt, in dem die Leute faul sind” und so weiter. Der Mai 1968 ist der Ursprung jenes sozialen Ferments, das zu einer sexuellen Revolution führte, zur Frauenbewegung, zur Legalisierung der Abtreibung, zur Homosexuellenbewegung und letztendlich zur Abschaffung von Gesetzen, die Homosexualität kriminalisierten sowie zu einer ganzen Reihe kultureller Neuerungen, die die miefige, verknöcherte französische Gesellschaft aufbrach. Der Mai ‘68 steht aber auch für einen Generalstreik, an dem sich 11 Millionen französische Arbeiter beteiligten. Sie erreichten, dass in vielen Unternehmen Gewerkschaften zugelassen wurden und setzten Lohnerhöhungen durch. Erreicht wurde zudem ein Abkommen, das die sozialen Sicherungssysteme stärkte (der junge Jacques Chirac handelte es damals für Präsident Georges Pompidou aus). Unter der Bezeichnung ‘Les accords de la rue de Grenelle’ wurde das Abkommen berühmt. In seiner Rede gegen den Mai 1968 ließ Sarkozy unerwähnt, dass es zu den Dingen gehören wird, die es zu “liquidieren” gilt.
Ein Kommentar zu 'Was bedeutet der Sieg Sarkozys?'
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am 13. May. 2007
Frankreich wird, wie schon einmal in der Geschichte geschehen, wohl die vorreiterrolle in Europa was Ausschreitungen und revolutionsähnlichen Zustände angeht sein.
Ich bin gespannt was die Zukunft bringt.