Die Weltkriegspartei muss bedingungslos kapitulieren
Von Karl Müller, Zeit-Fragen.ch
Man stelle sich vor, die Vereinten Nationen hätten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Heinrich Himmler zum Beauftragten für eine deutsch-jüdische Verständigung ernannt … Das ist nicht vorstellbar. Nun wurde Tony Blair, der völkerrechtswidrig Krieg im Nahen und Mittleren Osten geführt hat, für Hunderttausende von Toten und ein grauenhaftes Ausmass an Zerstörung verantwortlich ist und deshalb als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt gehört, zum Nahost-Beauftragten des Nahost-Quartetts (Uno, EU, USA und Russland) ernannt. Der CDU-Politiker und Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, Ruprecht Polenz, meint, es wäre «kontraproduktiv», an der Entscheidung für Blair «noch einmal rumzukritisieren».
Das sehen andere anders. Der ARD-Korrespondent für den Nahen Osten, Carsten Kühntopp, sprach davon, man habe mit der Berufung Blairs «den Bock zum Gärtner» gemacht (siehe den Kommentar auf dieser Seite). Was aber wird mit dieser ungeheuerlichen Ohrfeige für alle, die sich um einen gerechten Frieden im Nahen Osten und in der Welt bemühen, deutlich? Doch nichts anderes, als dass die Weltkriegspartei weiter auf Krieg setzt, sogar auf eine Ausweitung des Krieges, um die Welt zu unterjochen und sich die Reichtümer der Welt anzueignen.
Lediglich taktische Retuschen soll es hier und da geben.
US-Senator Richard G. Lugar, Mitglied der Republikanischen Partei, also der Partei des US-Präsidenten, hat vor dem Senat eine ausführliche Rede gehalten (Pressemitteilung vom 25. Juni: Lugar, Senate Floor Speech, Calls for Course Change in Iraq. Connecting our Iraq Strategy to our Vital Interests, zu finden auf der Website des Senators, lugar.senate.gov) und die Irak-Politik seines Präsidenten kritisiert. Die gegenwärtige Politik stehe nicht mehr im Einklang mit den nationalen Interessen der USA. Lugar hatte bislang den Irak-Krieg unterstützt. Eine grundsätzliche Abwendung vom Weltkriegskurs der USA allerdings vollzog Lugar nicht. Welchen Wert haben solche Stellungnahmen?
Die SPD-Fraktion im Deutschen Bundestag tagt am 4. Juli, um ihr Abstimmungsverhalten im kommenden September – dann geht es um eine Verlängerung des deutschen Isaf- und OEF-Mandates für Afghanistan – zu beraten. Eine Woche vor dieser Sitzung sind die deutschen Medien voll von der Meldung, in der SPD gebe es verstärkte Zweifel am deutschen OEF-Einsatz. «In der SPD-Fraktion», so hatte sich der SPD-Politiker Hans-Peter Bartels geäussert, «zeichnet sich eine Mehrheit dafür ab, die hundert KSK-Spezialkräfte aus dem OEF-Mandat herauszunehmen». Wenn Deutschland «diese Hypothek» nicht mehr übernehme, werde es der Fraktion im Herbst im Bundestag leichter fallen, die Beteiligung an der Isaf zu verlängern. Welchen Wert hat diese Stellungnahme?
Offensichtlich wächst der Druck auf die deutsche Afghanistan-Politik. In einer aktuellen Umfrage im Auftrag des Magazins Focus haben sich 61 Prozent der befragten Bundesbürger für einen Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan ausgesprochen. Selbst der von der US-Regierung eingesetzte afghanische Präsident Karzai hat die Kriegs politik der Besatzungsmächte in seinem Land scharf kritisiert: und zwar die von OEF und Isaf – die derzeit beide unter dem Kommando ein und derselben Person stehen: des US-Generals Dan K. McNeill. Keine militärische Operation in Afghanistan, so Karzai weiter, dürfe künftig mehr ohne Absprache mit der afghanischen Regierung stattfinden. Seine Regierung wolle zwar mit der US-Regierung und der Nato zusammenarbeiten – «aber das heisst nicht, dass das Leben von Afghanen nichts wert ist».
Karzai nannte nun auch sehr konkret Verbrechen der Nato, die ohne Rücksicht auf zivile Opfer Dörfer beschiesst und bombardiert. Weitere schwere Menschenrechtsverletzungen der Besatzungsmächte sind an der Tagesordnung. Das deutsche Magazin Focus berichtete über verbreitete Foltermethoden. Zum Beispiel: Gefangenen, die verhört werden, wird angedroht, sie gefesselt und an einen Wagen gebunden über ein Geröllfeld zu schleifen. Selbst Kinder sollen von Besatzungssoldaten misshandelt worden sein.
Ein Drittel der SPD-Abgeordneten im Bundestag hatte schon im März gegen die eigene Fraktionsführung und gegen die Regierungspolitik gestimmt und den Tornado-Einsatz in Afghanistan abgelehnt. Mit der aus dem Zusammenschluss von PDS und WASG gebildeten neuen Partei «Die Linke» gerät die SPD unter noch stärkeren Druck. Die Umfragewerte der neuen Partei steigen und liegen derzeit bei 12 Prozent bundesweit. Die Partei verzeichnet grossen Mitgliederzuwachs. Das alles nicht zuletzt, weil sie programmatisch für eine konsequente Friedenspolitik steht.
Die SPD hingegen sinkt immer mehr in der Wählergunst, die Leute laufen ihr in Scharen weg. Für die grosse Mehrheit der Deutschen steht die SPD heute nicht mehr für die klassischen Pluspunkte sozialdemokratischer Identität: nicht mehr für Frieden und soziale Gerechtigkeit; sondern für deutsche Kriegsbeteiligung und für den Abbau sozialer Rechte. Ob die Partei sich zu einem ehrlichen Kurswechsel durchringen können wird, ist nicht abzusehen. Dass die Parteiführung lediglich den OEF-Einsatz in Frage stellt und darüber hinweggeht, dass der Isaf-Einsatz mittlerweile keinen Deut mehr besser ist und beide Einsätze aufs engste verzahnt sind, wirft einmal mehr kritische Fragen auf. Um so mehr, als die 100 deutschen KSK-Soldaten (Kommando Spezialkräfte), die OEF zugeordnet sind, nach offiziellen Angaben schon seit 2005 überhaupt nicht mehr im Einsatz sind.
Und die deutsche Regierung, an der ja bislang die SPD beteiligt ist, sowie ihr Verteidigungsminister Jung haben angekündigt, sie wollten alle deutschen Kriegsbeteiligungen in Afghanistan – Bodentruppen für Isaf, Tornados für Isaf und OEF sowie Bodentruppen und Marineeinheiten für OEF – im Herbst verlängern. Eine «Informationskampagne über die Erfolge beim Wiederaufbau in Afghanistan» wurde so laut angekündigt, dass sich schon jetzt jeder auf eine verlogene Propagandawalze einstellen kann.
Und trotzdem: Die «Debatte» innerhalb der SPD zeigt, dass der Druck der Friedenspartei Wirkung zeigt. Trotz aller Propaganda und medialer Gleichschaltungsversuche dringt nämlich auch immer wieder die Wahrheit an die Öffentlichkeit. Die seit langer Zeit eindeutigen Befragungsergebnisse (siehe oben) – eine grosse Mehrheit der Deutschen ist gegen deutsche Kriegseinsätze, auch gegen den in Afghanistan – sprechen eine klare Sprache.
Aber der Druck auf die Weltkriegspartei muss grösser werden. Sonst wird die Kriegspartei alles anstellen, um uns mit taktischen Retuschen zu beschwichtigen.
Die Friedenspartei muss eine bedingungslose Kapitulation der Weltkriegspartei fordern.
Das erfordert einen langen Atem. Je grösser die Verbrechen sind, die die Weltkriegspartei in der Welt begeht, desto mehr müssen wir uns auf Lügen und perfide Täuschungsmanöver gefasst machen. Die Skrupellosigkeit der Kriegspartei ist gross, sehr gross.
Hatten nicht auch Hitler und Goebbels nach Stalingrad die Propagandawalze potenziert («Wollt ihr den totalen Krieg?»), ihren Krieg noch fast zweieinhalb Jahre bis zum «Endsieg» fortgesetzt und weiteren Millionen von Menschen das Leben geraubt! War nicht auch der Vietnam-Krieg schon Jahre zuvor verloren, bevor die US-Truppen 1973 ein zerstörtes Land verliessen! Die Weltkriegspartei und vor allem die Kriegsverbrecher unter ihnen wissen, dass sie nach einer Weichenstellung für den Frieden zur Rechenschaft gezogen werden können. Und die Profiteure des Krieges kümmern sich nicht um die Leichenberge, die sie hinterlassen. Sie suchen nach immer neuen Finessen, um auch in bedrängter Lage ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen.
Noch sind die Machtmittel der Kriegspartei fürchterlich. Aber auch nur so lange, wie es Menschen gibt, die der Kriegspartei zu Diensten sind. Und solange Menschen darauf hereinfallen, dass vom wirklichen Kriegsgeschehen abgelenkt wird.
Deutschland hat Erfahrungen damit gemacht: Einerseits das Feindbild in derben Farben zu malen, andererseits aber auch vom Krieg abzulenken und lediglich über Erfolge zu berichten, war eine der Hauptaufgaben des Reichspropagandaministeriums. Heute ist das im Prinzip nicht viel anders. Nur dass die deutsche Kriegspartei heute mit noch perfideren Methoden arbeitet – einerseits mit dem Schüren von Angst vor vermeintlichen Terrorgefahren, andererseits aber auch mit gleichgeschalteten Jubelmeldungen über Angela Merkel und ihre Politik, auch mit arg geschönten Arbeitsmarktstatistiken – und mit der Lüge, alles geschehe im Namen von Recht und Freiheit, Wohlstand und Demokratie. Die Weltkriegspartei hat noch keineswegs aufgegeben und hat noch finstere Pläne in der Schublade. Tony Blairs Berufung ist ein weiteres Menetekel dafür.
Quelle: Zeit-Fragen.ch
Mit Blut an den Händen
Kriegspremier Blair soll Gesandter des Nahost-Quartetts werden
Ein Kommentar von Carsten Kühntopp, ARD-Korrespondent Nahost, Amman
Es gibt nur einen westlichen Politiker, der bei den Menschen in der arabischen Welt einen noch schlechteren Ruf als Tony Blair geniesst – und das ist der amerikanische Präsident. Dass ausgerechnet Blair Nahost-Gesandter werden soll, versteht in diesem Teil der Welt niemand, schliess lich ist die Bilanz seiner Politik hier verheerend. Blairs grösstes Debakel heisst «Irak». Mit Lügen und Halbwahrheiten führte der britische Premierminister sein Land in einen völkerrechtswidrigen Krieg, einen Krieg, der seit März 2003 bis heute Hunderttausende Iraker das Leben gekostet hat. Wie sich jeder Araber bewusst ist, hat Blair auch in Libanon das Blut arabischer Männer, Frauen und Kinder an seinen Händen: Zusammen mit den USA und Deutschland verhinderte Grossbritannien ein schnelles Ende des Krieges im letzten Sommer, um Israel die Gelegenheit für einen vernichtenden Schlag gegen Hizbollah zu geben; 1200 unschuldige Zivilisten starben.
Nicht nur Blair, auch sein künftiger Arbeitgeber, das sogenannte Quartett, hat bislang dem Nahen Osten mehr geschadet denn genutzt: So segnete es vor einem Jahr, nach dem Wahlsieg von Hamas, den Boykott gegen die Palästinensische Autonomiebehörde ab. Man verhängte also Sanktionen gegen die frei gewählten Vertreter eines unter Besetzung stehenden Volkes. Das Ergebnis dieser Politik ist seit Wochen im Gaza-Streifen zu besichtigen. Übrigens: Dass Israel für seine nunmehr 40 Jahre währende illegale Besetzung arabischer Gebiete mit ähnlichen internationalen Sanktionen belegt wird – darauf wartet die arabische Welt weiter vergeblich.
Wie es im Quartett zugeht, hinter verschlossenen Türen, beschrieb kürzlich Alvaro de Soto. De Soto, ein peruanischer Diplomat, diente bis Ende Mai als Nahost-Gesandter der Vereinten Nationen. In seinem Abschlussbericht schildert de Soto, wie amerikanische Diplomaten einmal damit drohten, den Zuschuss für die Uno zu kürzen, wenn die Vereinten Nationen im Quartett nicht den Wünschen der USA folgen sollten. De Soto beschreibt, wie die Amerikaner auf eine bewaffnete Konfrontation von Fatah und Hamas drängten. So habe der US-Vertreter im Quartett auf einer Sitzung im Frühjahr mit Blick auf die immer heftigeren Schusswechsel im Gaza-Streifen gesagt: «Ich mag diese Gewalt» – schliesslich zeige sie, dass sich weitere Palästinenser Hamas widersetzten.
De Soto empfahl, die Vereinten Nationen sollten aus dem Nahost-Quartett austreten; der Widerstand der USA gegen jeden Versuch des Gremiums, unparteilich an den Konflikt zwischen Israeli und Palästinensern heranzugehen, sei ohne Beispiel. Tatsächlich spricht ja bereits die Zusammensetzung des Nahost-Quartetts Bände: Während mit den USA der engste Verbündete Israels am Tisch sitzt, haben die Palästinenser dort keinen Fürsprecher.
Tony Blair als Nahost-Gesandter – da macht man den Bock zum Gärtner. Doch angesichts der desaströsen Politik des Quartetts passt es irgendwie.
Quelle: Zeit-Fragen.ch
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