Das Ende der Unschuld
Der leise Tod der Unschuldsvermutung in Deutschland
In ihrer am Mittwoch veröffentlichten Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines “Telemediengesetzes” hat die deutsche Bundesregierung die Forderung der Länder nach Herausgabe von Bestands- und Nutzungsdaten durch Tele- und Mediendienste zu “Präventionszwecken” unterstützt.
Die Länder hatten über den Entwurf der Bundesregierung, dem zufolge Anbieter von Tele- und Mediendiensten “für Zwecke der Strafverfolgung, zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, des Bundesnachrichtendienstes oder des Militärischen Abschirmdienstes oder zur Durchsetzung der Rechte am geistigen Eigentum” zur Herausgabe von Bestands- und Nutzungsdaten verpflichtet werden sollen, hinausgehend gefordert, daß dies auch zur “Prävention” von Straftaten geschehen müsse.
Wie Heise Online am Freitag berichtete, geschieht dies mit der Begründung, daß über das Internet auch “Anleitungen zum Bau von Sprengsätzen, Blankoformulare für Dienstausweise der Polizei oder Zugangsberechtigungen für einen bestimmten Flughafen angeboten werden” könnten, wogegen bereits im Vorwege vorgegangen werden müsse. Nicht nur, daß hier allein die Möglichkeit, daß derartige Vergehen begangen werden könnten, eine massive Grundrechtseinschränkung vorgenommen werden soll, vergleichbare Maßnahmen wären - zumindest derzeit noch - völlig undenkbar, wenn sie sich nicht gegen das Internet beziehungsweise seine Nutzer richten.
Die Gesetzgeber wollen hier nicht weniger, als alle Internetnutzer unter einen Generalverdacht zu stellen und entsprechend überwachen zu können. Diesen Ansatz bekräftigte auch der deutsche Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble kürzlich in einer Sendung des Fernsehsenders Phoenix. Dort sagte er: “Daß man das Internet stärker kontrollieren muß, das weiß man ja inzwischen und das ist auch international ein ganz zentraler Baustein. Denn sowohl die Anleitungen für den Bau von Bomben als auch die Anregung für Nachwuchsgewinnung für die Terroristen, die Haßpredigen, das alles wird über das Internet verbreitet.” Teilweise würden sich auch “Terroristen” über das Internet “verabreden”, so Schäuble weiter.
Ebenso, wie “Blankoformulare für Dienstausweise der Polizei” auch hervorragend mit der Briefpost weitergegeben werden können, fällt es ..Terroristen.. sicherlich nicht schwer, sich telephonisch zu ..verabreden… Trotzdem wurden bisher keine Gesetzesvorlagen eingebracht, die die “vorbeugende” Öffnung aller Briefe und den ebenso “vorbeugenden” Mitschnitt aller Telephongespräche fordert - wobei die Vermutung mittlerweile naheliegt, daß dies bisher allein deshalb unterblieben ist, weil nach Ansicht der Politiker hierfür “die Zeit noch nicht reif ist”.
Die Unschuldsvermutung ist ein zentraler Punkt der Grundrechte der Bürger Deutschlands als auch Europas. Dies bedeutet beispielsweise, daß ein Polizist eben gerade nicht ..präventiv.. eine Hausdurchsuchung vornehmen kann. Er benötigt hierfür einen richterlichen Durchsuchungsbefehl oder muß zumindest begründen können, warum seiner Ansicht nach “Gefahr im Verzug” war. Die Problematik häufig ohne entsprechender richterlicher Prüfung erteilter Durchsuchungsbefehle sei an dieser Stelle außer Acht gelassen.
Der Kommunikation ist seit jeher ein besonderer Schutz zugestanden worden, weshalb das Brief- und das Fernmeldegeheimnis geschaffen wurden, die wie auch die Unverletzlichkeit der Wohnung nur unter besonderen Bedingungen - dem unmittelbaren Verdacht einer Straftat - gebrochen werden können. Wenn nun nach Willen der Politiker die Kommunikation über das Internet “präventiv” - also eben gerade völlig verdachtsunabhängig - belauscht werden soll, so ist dies letztlich nichts weniger als die Abschaffung der Unschuldsvermutung.
Mit der gleichen vollständigen Ignoranz gegenüber einem entscheidenden Eckpfeiler einer Demokratie könnten auch wöchentliche “präventive” Hausdurchsuchungen, das Abhören aller Beichtstühle, Kameras in allen Schlafzimmern oder die strikte Ãœberwachung aller Büchereien - finden sich dort doch zahlreiche subversive Schriften und sogar Chemie-Lehrbücher - beschlossen werden.
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