Deutsche Intellektuelle 1914/1999
 Von Otto Köhler (Ossietzky)
Ein Jahr nach dem dritten deutschen Krieg im 20. Jahrhundert bedauert die Mitgliederversammlung des PEN-Zentrums Deutschland, daß Schriftsteller dazu bereit waren, sich hinter die Friedenspolitik der deutschen Bundesregierung zu stellen, die eine Politik des Krieges war.
Heute, nach den Untersuchungen des ehemaligen Brigadegenerals und Leiters des Zentrums für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr, Heinz Loquai, scheint dies festzustehen: Das »Massaker von Racak«, mit dem wir kriegsbereit gemacht werden sollten, war mit hoher Sicherheit eine (leider normale) Schießerei zwischen Bürgerkriegsgegnern. Und der »Hufeisenplan« zur Vertreibung aller Kosovoalbaner, mit dem Verteidigungsminister Scharping die Bombardierung Jugoslawiens rechtfertigte, war eine Erfindung des Bundesverteidigungsministeriums, um die erst nach der NATO-Bombardierung einsetzenden großen Flüchtlingsströme zu begründen.
Wir wissen heute, daß es 1999 entgegen der Behauptung von Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping in der Kosovohauptstadt Pristina kein serbisches KZ gab. Wohl aber gab es 1944 an diesem Ort ein deutsches KZ, in dem mit Hilfe von kosovoalbanischen SS-Leuten Juden, Serben und Roma ermordet wurden.
Wir wissen, daß im jugoslawischen Bürgerkrieg von allen Seiten schwere Verbrechen begangen wurden, Verbrechen, die es aber nicht rechtfertigen, mit der Parole »Nie wieder Auschwitz« (Außenminister Joseph Fischer) zugunsten einer Seite einzugreifen, die schon im Zweiten Weltkrieg auf der Seite Großdeutschlands stand.
Schon im Ersten Weltkrieg haben berühmte deutsche Schriftsteller und Professoren sich in gemeinsamen Erklärungen und Aufrufen hinter ihre Regierung gestellt und die deutsche Propaganda unterstützt. Wir warnen vor Fortsetzung in einer Zeit, in der die Bundeswehr als Krisenreaktionsstreitmacht fähig gemacht werden soll, jederzeit und an jedem Punkt der Welt militärisch einzugreifen. Die – entschieden selektive – Bekämpfung von Menschenrechtsverletzungen in den Staaten, die wir zu Recht oder zu Unrecht als Schurkenstaaten betrachten, kann keine Rechtfertigung dafür sein, daß von deutschem Boden wieder Krieg ausgeht. Wir fordern Mißtrauen gegenüber allen deutschen Regierungen, die sich so leichtfertig wie das gegenwärtige Kabinett zu kriegerischen Einsätzen bereit finden.
Wir fordern die deutschen Medien auf, sich nach dem Vorbild der französischen Presse bei ihren Lesern, Hörern und Zuschauern für die Fehlinformationen zu entschuldigen, die ungewollt erfolgten, da man der Desinformation und Propaganda der Regierung geglaubt hatte. (mehr…)
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