Die Verfassungsfeinde in meiner Regierung

Tabubrüche ohne Folgen in deutscher Politik
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jung.jpgWar man es vom deutschen Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble schon seit langem gewohnt, daß er das deutsche Grundgesetz und Urteile des Bundesverfassungsgerichts eher als Hindernisse auf dem Weg zur Verwirklichung seiner Vorstellungen denn als bindende Grenzen versteht, so hat er nun offenbar einen Freund im Geiste gefunden. Während Schäuble wiederholt versucht hat, sich über Grundgesetz und ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hinwegzusetzen um so den Abschuß vermeintlich entführter Passagiermaschinen, die – nach Ansicht der Behörden – für Terroranschläge genutzt werden sollen, per Gesetz zu gestatten, ist nun der deutsche Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung noch deutlich weiter gegangen.
Wohl wissend, daß es hierfür noch keinerlei gesetzliche Grundlage – vielmehr unmißverständliche Verbote – gibt, kündigte Jung unumwunden an, im Falle einer solchen Entführung eines Flugzeugs dessen Abschuß durch Kampfflugzeuge der Bundeswehr eigenmächtig anordnen zu wollen. Damit nicht genug, wurden offenbar bereits Vorkehrungen getroffen, sicherzustellen, daß hierfür Bundeswehrpiloten zur Verfügung stehen, die trotz der Tatsache, daß es sich hier um von ihnen mitzuverantwortenden Mord in möglicherweise hunderten Fällen handelt, bereit sind, einen solchen Befehl auszuführen.

Was hier passiert, mag in einer Diktatur, in der ein ehrgeiziger Minister einen Putsch gegen den bisherigen Diktator plant, nicht unüblich sein – in einer Demokratie ist es nur als katastrophal zu bezeichnen. Nicht nur, daß ein Bundesminister unter dem Vorwand des letztlich von ihm erfundenen Begriffs des “übergesetzlichen Notstands” - den es weder im Grundgesetz noch in der deutschen Rechtssprechung gibt – offen ankündigt, sich unter bestimmten Bedingungen über grundlegendste gesetzliche Regelungen hinwegzusetzen und den Befehl zur Ermordung von Menschen geben zu wollen, er schart bereits Teile des Militärs um sich, die bereit sind, ihn hierbei zu unterstützen. Das Wort “Putschvorbereitungen” mag nicht vollständig passend sein, kommt hier aber unweigerlich in den Sinn.

In seiner Entscheidung vom 15. Februar des vergangenen Jahres gegen das von Schäuble entwickelte “Luftsicherheitsgesetz”, das den Abschuß von Flugzeugen gestatten sollte, schrieb das Bundesverfassungsgericht: “Ein Luftfahrzeug abzuschießen, das gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, ist mit dem Recht auf Leben nach Artikel 2, Absatz 2, Satz 1, Grundgesetz in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie des Artikel 1, Absatz 1, Grundgesetz nicht vereinbar, soweit davon tatunbeteiligte Menschen an Bord des Luftfahrzeugs betroffen werden.” Eindeutiger und grundlegender hätte diese Entscheidung sicherlich kaum ausfallen können.

Daß ausgerechnet Jung sich nun bei der Verteidigung seiner Ankündigung auf seinen Amtseid beruft, in dem er sich verpflichtete, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden, kann nur noch als zynisch bezeichnet werden, beeidete er doch auch, sich an das deutsche Grundgesetz zu halten und dieses zu verteidigen. Selten wurde jener Amtseid offensichtlicher gebrochen als durch Jungs Ankündigung, eigenmächtig den Abschuß von Passagiermaschinen befehlen zu wollen.

Wirklich dramatisch ist aber, daß dies nicht zur unverzüglichen Enthebung Jungs von seinem Amt durch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel geführt hat. Tatsächlich sind entsprechende Forderungen bisher nur äußerst begrenzt, beispielsweise von den Grünen und der Jugendorganisation der SPD, den Jusos, ausgesprochen worden. Nicht einmal die an der Regierung beteiligte SPD selbst konnte sich dazu durchringen, die Entlassung oder den Rücktritt des CDU-Mitglieds Jung zu fordern.

Schon Schäuble und seine verfassungsfeindlichen Forderungen sind in einer demokratischen Regierung sicherlich kaum tragbar. Jungs Vorstoß hingegen läßt Schäuble geradezu harmlos erscheinen.

Sollte Jung nicht umgehend entlassen werden, so wäre dies letztlich auch eine Verletzung ihrer Amtseide durch die restlichen Regierungsmitglieder und ein unübersehbares Zeichen für das Ausmaß ihres Respektes vor dem deutschen Grundgesetz.

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