Der schwarze Winkel

Vor siebzig Jahren initiierte das Nazi-Regime die Aktion »Arbeitsscheu Reich«. Der 21. April 1938 leitete den Höhepunkt der Verfolgung von »Asozialen« ein

Von Christian Linde

Im Sommer 1938 stieg die Zahl der Häftlinge in den Konzentrationslagern Nazi-Deutschlands sprunghaft an. Der Grund: Die systematische Verfolgung einer bis dahin in den Lagern unbekannten Häftlingsgruppe: »Asozia le«. Den ersten Akt bildete eine Aktion der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) am 21. April 1938. Auf einen Schlag wurden Tausende »seßhafte« Fürsorgeempfänger festgesetzt. Einrichtungen, in denen Hilfesuchende bis dato Schutz suchten, stellten sich dabei in den Dienst des Verfolgungsapparates und meldeten Mittellose und andere Marginalisierte. Zweiter Akt der Massenverhaftungen und Verschleppungen: Knapp zwei Monate später wurden von der Kriminalpolizei erneut Tausende Menschen festgenommen. Bettler, Landstreicher, Suchtkranke, säumige Unterhaltspflichtige, Sinti und Roma. Höchst unterschiedliche Personengruppen, die eines einte: der Kontakt zum Fürsorgesystem. Im Zuge dieser Verhaftungswelle wurden mehr als 10000 Menschen in Konzentra tionslager verbracht. (mehr…)

 

Anmerkung Orlando Pascheit, NachDenkSeiten: Aus gegebenem Anlass habe ich dazu schon einmal geschrieben und möcht dies noch einmal wiederholen:
Wir wähnen uns immer so weit entfernt von jenen Zeiten und propagieren bei jeder Gelegenheit die Unwiederholbarkeit der NS-Schandtaten. Aber Geschichte wiederholt sich nicht in seiner äußeren Form. Aber wie beginnt heutzutage Ausgrenzung? Heute haben wir die Aktion “Fördern und Fordern”, da schwingt dann schon mit, dass derjenige, der sich nicht fordern lässt, auch keine Förderung verdient. Gewiss wird heute nicht vom “Gemeinschaftsfremden” gesprochen, auch nicht von “Volksgemeinschaft”, aber ist der Titel der unsäglichen Broschüre des damaligen Wirtschaftsministers Clement “Vorrang für die Anständigen - Gegen Missbrauch, „Abzocke“ und Selbstbedienung im Sozialstaat” so weit entfernt von solcher Gesinnung?

So werden dann aus Opfern einer verfehlten Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik arbeitsscheue Asoziale gemacht. Wobei schon rein rechnerisch bei 3,5 Mio. Arbeitlosen und 1,5 Mio. offenen Stellen (sehr optimistische Zahlen) etliche beim Fördern und Fordern rausfallen. Diese übriggebliebenen 2 Mio. könnten laut Weltökonomen der Bildzeitung durch eine weitere Absenkung der Sozialhilfe und durch die Ausweitung des Niedriglohnsektors in Lohn und Brot kommen. Man muss also nur Druck auf diese Abzocker machen. Die obszöne Agitation der Bildzeitung unter Mitwirkung bekannter Wissenschaftler gegen Hartz-IV-Empfänger als arbeitsscheue Schmarotzer kommt der Selektion des Menschen in seinem Wert oder Unwert für den “Volkskörper” sehr nahe.

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