Siemens ist überall!
“Deutschland AG” funktioniert wie geschmiert
Hans-Joachim Selenz
Die Finanzaffäre bei Siemens nimmt von Tag zu Tag monströsere Dimensionen an. Anfangs ging man noch von Schwarzgeld in Höhe von 20 Millionen Euro aus. Inzwischen wird bereits von 200 Millionen Euro berichtet. Schwarzgeld, das in Teilen von einem Angestellten “in bar” nach Österreich verbracht wurde. Ermittler der Staatsanwaltschaft München hatten im Rahmen einer Großrazzia die Konzernzentrale und dort auch Vorstandsbüros durchsucht. Selbst Siemens-Chef Kleinfeld - bereits seit Monaten in den Schlagzeilen - wurde gefilzt.
Angeblich wußte man auf der Siemens-Chefetage schon seit knapp einem Jahr von den Vorwürfen. Anzeigen gegen die Beteiligten wurden indes nicht erstattet. Manager, die in Deutschland auf diesen Schmutz aufmerksam machten, wurden stets als “Nestbeschmutzer” bezeichnet. Eine bis dato übliche Verdrehung der kriminellen Zusammenhänge. Wer das kriminelle “Schließen von Löchern in der Konzernbilanz” verweigerte, wurde gefeuert. Otto Normalverbraucher steht fassungslos vor diesem Sumpf. Wie ist so etwas überhaupt möglich? In welchem Land leben wir eigentlich?
Wir leben in Deutschland, einem Land, in dem sich der Bürger langsam aber sicher an derartige Vorgänge gewöhnt hatte. Wer sich ein wenig auskennt in den Großunternehmen zwischen Garmisch und Flensburg weiß schon lange vom “Wildwest auf den Chefetagen” dieser Republik. Das Verschieben zwei- bis dreistelliger Millionenbeträge ist ohne Kenntnis der Chefetage völlig undenkbar. Ebenso undenkbar ist, daß derartige Vorgänge über Jahre an der Revision vorbei gemanagt werden können. Gleichfalls undenkbar ist, daß die jeweiligen Wirtschaftsprüfer die Schwarzgeldschiebereien in mehrstelliger Millionenhöhe nicht bemerkten. Bis dato wurde das als ganz “normaler” Wahnsinn abgebucht. Die Verantwortlichen auf den Chefetagen konnten sicher sein, daß ihnen nie etwas passierte. Die Deutschland AG funktionierte. Wie geschmiert!
So konnte sich bei VW in Wolfsburg eine kriminelle Eiterblase entwickeln, die letztlich erst in Indien platzte. Ãœber Jahre hinweg wurden sogenannte “Eigenbelege” durch das zuständige Finanzamt geschleust. Untreue pur. Keine Alarmsirene heulte auf. Millionenbeträge wurden so aus einer börsennotierten Aktiengesellschaft in die Taschen von Organmitgliedern umgeleitet. Die sollten eigentlich die Gesellschaft vor derartigen Machenschaften schützen. Dokumente aus dem Unternehmen, die Geldschiebereien im dreistelligen Millionenbereich aufzeigen, wurden von der zuständigen Staatsanwaltschaft in Braunschweig erst gar nicht geprüft. Zu kompliziert! Man gab die Dokumente statt dessen - zur Prüfung - an die VW-Revision. Der Bock als Gärtner! Erst nach Erscheinen des “Schwarzbuch VW” begann die Justiz, sich ernsthaft zu regen.
Bei der Preussag AG wurden über eine “Clearingstelle” in der neutralen Schweiz jährlich circa 20 Millionen DM an Schwarzgeld verteilt. Dies ist den zuständigen Strafverfolgern seit Jahren bekannt. Bekannt ist allerdings auch, daß zumindest Teile dieser Millionen in den Taschen deutscher Politiker und Beamter landeten. “In Umschlägen unter dem Tisch”. Das posaunte dreist und ungehemmt Dr. Wolf-Dieter Zumpfort, Cheflobbyist der Preussag/TUI AG, im Bericht aus. Berlin zur besten Sendezeit in deutsche Wohnzimmer. Die Reaktion? Betretenes Schweigen. Der Herr läuft immer noch frei herum. Lobbyarbeit nennt sich so etwas offiziell in Deutschland.
Wesentlich zu dieser für einen Rechtsstaat unerträglichen Situation trägt bei, daß deutsche Staatsanwälte weisungsgebunden sind. Das heißt, sie hängen an der Leine von Politikern. Politiker, die Geld in Umschlägen unter dem Tisch empfingen, sind an Aufklärung nicht interessiert. Herr Berlusconi hätte sich so etwas für Italien sicherlich auch gewünscht. Der Deutsche Richterbund fordert daher seit Jahren die Aufhebung dieser Weisungsgebundenheit, um endlich auch in Deutschland “Regierungskriminalität” aufdecken und ahnden zu können.
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