Jobcard, Vorratsdatenspeicherung, Rasterfahndung und “Bundestrojaner” höhlen Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus: Gesellschaft für Informatik besorgt über Datensammeleifer öffentlicher Stellen
Cornelia Winter, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Gesellschaft für Informatik e.V.
Als besorgniserregend hat Matthias Jarke, Präsident der Gesellschaft für Informatik e.V. (GI) den zunehmenden Datensammeleifer öffentlicher Stellen bezeichnet. Mit der ab dem 1. Januar 2008 geltenden Regelung zur Vorratsdatenspeicherung, der Rasterfahndung sowie der Überlegung, private Computer mittels eines Trojaners ohne Wissen des Betreffenden durchsuchen zu wollen, habe die flächendeckende Sammlung von Daten und die mögliche Überwachung der Bevölkerung eine neue Qualität erreicht, so Jarke.
Durch solche Maßnahmen werde das verfassungsrechtliche Prinzip von Datenhoheit und Datensparsamkeit drastisch vernachlässigt und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung systematisch ausgehöhlt. Dies gelte auch für die in der Öffentlichkeit noch wenig wahrgenommenen Pläne zur Einführung des “Elektronischen Einkommensnachweises” (ELENA, früher Jobcard). (mehr…)
Kein Recht auf Privatsphäre bei der Nutzung des Internet
Der Bundesinnenminister sucht nach einer Verfassungsänderung, die Landesregierung Nordrhein-Westfalen sieht das Internet gleich als “Sozialsphäre” statt als “Privatsphäre”, womit alle Probleme für Online-Untersuchungen entfallen würden
Der Bundesinnenminister sieht die Onlinedurchsuchung als unverzichtbar an, plädiert diesbezüglich für eine Verfassungsänderung. Eine solche Änderung wäre eine Anpassung an die Lebenswirklichkeit, so Wolfgang Schäuble. Wenn man dies genau betrachtet, so heißt dies auch, dass eine Onlinedurchsuchung zur Zeit mit der Verfassung nicht vereinbar wäre. Diese Meinung ist konträr zu jener, die die Landesregierung Nordrhein-Westfalen in ihrer Stellungnahme zu den Verfassungsbeschwerden (eingelegt vom ehemaligen Bundesinnenminister Gerhard Baum (1) bzw. von einem Mitglied der Linkspartei und mir (2)) gegen das neue Verfassungsschutzgesetz NRW (3) vertritt ( Verfassungsbeschwerde gegen Online-Durchsuchungen (4))
Der Rechner – keine Privatsphäre, sondern “Sozialsphäre”
Interessant ist dabei die Ansicht des von der Landesregierung beauftragten Professors für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und Internetrecht in Bezug auf die Privatsphäre, sofern sie im Zusammenhang mit der Nutzung des Internet steht. Die Problematik des “Kernbereichs der privaten Lebensführung”, der seit dem Urteil zum Großen Lauschangriff eine zentrale Rolle bei der Bewertung von Ãœberwachungs- und Durchsuchungsmaßnahmen spielt, wird hier dadurch gelöst, dass man dem Nutzer letztendlich die Schuld daran überträgt, ausspionierbar zu sein und dadurch den Kernbereichsschutz negiert. (mehr…)
Unsere “Eliten” scheissen auf das Grundgesetz
Peter Mühlbauer: Schäuble ohne Gesicht
Die Bundesratsausschüsse wollen alle Horrorszenarien der letzen Jahre zusammengefasst in die Neuregelung der Überwachung der Telekommunikation integrieren
Auf insgesamt 53 Seiten, die dem Bundesrat für seine Stellungnahme am 8. Juni dienen sollen, packen die Länderpolitiker aus dem Innen-, dem Rechts- und dem Wirtschaftsausschuss auf alles, was von Verfassungsrechtlern in den Bereich der höchst problematischen bis klar verfassungswidrigen Eingriffe eingestuft wurde, noch eins drauf. Die in dem Papier gemachten Vorschläge sind teilweise so klar grundgesetzwidrig, dass man eigentlich schon von einem Putschversuch gegen die Verfassung sprechen könnte.
So wollen die Länderpolitiker unter anderen die verdachtsunabhängige Speicherung von Telekommunikationsdaten von sechs auf zwölf Monate verdoppelt sehen und den Zugriff darauf ohne weitere Einschränkungen auch für “zivilrechtliche Auskunftsansprüche” – im Klartext also für die Verfolgung von Patent- Marken- und Urheberrechtsverletzungen - festschreiben. Die Benachrichtigungspflicht bei der Abfrage von Verbindungs- und Standortdaten soll auf Personen beschränkt werden, gegen die Ermittlungen laufen. Das ist geradezu eine Einladung für unseriöse Abmahnanwälte, massenhaft und automatisiert Daten abzufragen, elektronisch auszuwerten und für erpressungsähnliche Geschäftsmodelle zu nutzen. Außerdem sollen die Telekommunikationsanbieter verpflichtet werden, 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche für Abfragen erreichbar zu sein – ein Anspruch, der sich für die Provider mit vertretbarem finanziellen Aufwand wohl nur über eine offene Schnittstelle verwirklichen lässt – mit allen damit verbundenen Missbrauchsmöglichkeiten. (mehr…)
Zwangsweise Kasernierung von jungen Hartz IV-Betroffenen im Rhein-Lahn-Kreis
Verfolgungsbetreuung von Arbeitslosen. Arge als Besserungsanstalt - Bestrafungs- , Bewertungssystem und “Pranger” für Arbeitslose
Rhein-Lahn-Kreis - Nach „PR-SOZIAL“ vorliegenden Informationen plant die Arge Rhein-Lahn-Kreis die Kasernierung von Hartz IV-Betroffenen unter 25 Jahren. Dabei soll es sich vorrangig um junge Erwachsene handeln, die weder zur Schule gehen noch in Ausbildung sind. Das Konzept trägt den Namen „JUWEL“ (Jugendliche auf dem Weg in Arbeit) und wurde bereits im März dieses Jahres der rheinland-pfälzischen Landesregierung vorgestellt. Von dieser wurden Bezuschussungen in Aussicht gestellt. Allerdings wurde dieses Konzept weder auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit noch auf sozialpädagogische Besonderheiten überprüft. Ebenfalls hat man sich bisher offensichtlich auch keine Gedanken über die Anfahrtskosten und Verpflegung dieser jungen Menschen gemacht, die per Zwang zur täglichen Kasernierung gezwungen werden sollen.
Den Informationen nach sieht das Konzept folgendes vor: Die Jugendlichen müssen von in der Früh bis spätnachmittags in einem von der ArGe gemieteten Haus verbleiben und müssen pünktlich zum Appell auf dem Hofgelände des Anwesens erscheinen und werden das Haus in dieser Zeit nicht ohne Genehmigung der Arge verlassen dürfen. Abends dürfen sie heimgehen. Es ist vorgesehen, dass diejenigen, die sich der Betreuung entziehen, mit Sanktionierung bis auf völlige Versagung von Arbeitslosengeld II inklusive Mietkosten zu rechnen haben. Angeblich wird an einem Bewertungssystem gearbeitet, nach welchem die Jugendlichen Punkte in den geplanten Kursen erzielen müssen. (mehr…)
“Nicht die Schutzrechte der Menschen, sondern die staatlichen Abwehrrechte gegen die Bürger stehen im Vordergrund”
Martin Dolzer, Sprecher des vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein eingerichteten anwaltlichen Notdienstes, zu den Razzien und den Sicherheitsmaßnahmen für den G8-Gipfel
- Die Hausdurchsuchungen vom 9.Mai gegen linke und alternative Projekte im ganzen Bundesgebiet wurden von der Bundesanwaltschaft mit der Verhinderung terroristischer Anschläge begründet. Wurde hier mit Kanonen auf Spatzen geschossen?
Martin Dolzer: Die Durchsuchungen von bundesweit über 40 Objekten wurden auf Grundlage des Paragraphen 129a durchgeführt. Das bekannte Problem bei diesem Paragraphen ist seine weitgehende Anwendbarkeit und Auslegbarkeit. Er setzt nicht mehr an der konkreten Verletzung eines Rechtsguts an, sondern abstrakt an einer Organisation. Der Straftatbestand ist also sehr weit gefasst und geht noch weiter im Falle einer so genannten Werbung und Unterstützung. Im Grunde genommen wird er hauptsächlich als “Ausforschungsparagraph” genutzt. Soziale Bewegungen sollen damit kriminalisiert, eingeschüchtert und ihre Infrastruktur zerschlagen werden. Außerdem wird versucht, auf diese Weise ein Klima der permanenten Kriminalitäts- und Terrorismusangst in der Gesellschaft zu schaffen. Die meisten 129a-Verfahren werden nach langen Gerichtsverhandlungen später eingestellt. Doch im Rahmen der Ermittlungen können Abhörmaßnahmen, verdeckte Ermittlungen und eben auch Durchsuchungen durchgeführt werden.
- Aber müssen die Richter nicht auch bestimmte Kriterien beachten, bevor sie eine solche Hausdurchsuchung genehmigen?
Martin Dolzer: Eigentlich muss für einen Durchsuchungsbefehl ein Anfangsverdacht bestehen. Bei den mir bekannten Fällen der jetzigen Razzien handelt es sich allerdings hauptsächlich um Vermutungen. Die reichen eigentlich für die Genehmigung einer Hausdurchsuchung nicht aus. Trotzdem wurden auch in der Vergangenheit gerade bei 129a-Verfahren Durchsuchungen auf Grund von reinen Vermutungen angeordnet. Das ist durch die genannte enorme Breite der Gesetzesauslegung möglich. Es wird dann von den Details in den einzelnen Fällen abhängen, inwieweit die Maßnahme als unrechtmäßig angefochten werden kann. (mehr…)
Das prekäre Leben
Wird Deutschland zum Billiglohn-Sektor mit befristeten Perspektiven? Junge Akademiker zwischen Praktikum und Prekariat
Mit dem Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des deutschen Bildungssystems ist vielfach auch die Hoffnung zerstört worden, dass eine effiziente, nachweislich zielorientierte und qualitativ vermeintlich hochwertige Ausbildung auf geradem Wege zum angestrebten Traumjob führt. Die Realität sieht – trotz sinkender Arbeitslosigkeit und galoppierendem Wirtschaftswachstum – anders aus. Facharbeiter finden oft jahrelang keine adäquate Beschäftigung, Selbstständige stehen immer öfter und schneller vor dem finanziellen Ruin, und Hochschulabsolventen werden mit unschöner Regelmäßigkeit zwischengeparkt, um in Praktika, Volontariaten und befristeten Arbeitsverhältnissen erste Erfahrungen zu sammeln, die den Auftraggebern nicht selten und ganz nebenbei Spitzenleistungen zu Dumpinglöhnen sichern.
Ein willkürliches Beispiel: Allein das kleine Bundesland Bremen verzeichnet nach Angaben der örtlichen Arbeitnehmerkammer (1) 69.500 Mini-Jobber, 20.000 Vollzeitbeschäftigte mit Niedriglöhnen, rund 30.000 Arbeitnehmer mit befristeten Verträgen und fast 6.000 Leiharbeiter, 3.000 Ein-Euro-Jobber, etwa 4.500 Vollzeiterwerbstätige, die zusätzlich Alg II beantragen - und obendrein noch “eine nicht unerhebliche Zahl” von Scheinselbstständigen und Ich-Ags. Zwischen 1999 und 2006 ist die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse hier von 280.000 auf 271.800 zurückgegangen. (mehr…)