„Die Vision des Neoliberalismus widerspricht entscheidenden Anforderungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes“
 Das ist einer der Kernsätze eines Essays von Wieland Hempel, den wir Ihnen zur Lektüre und zur Diskussion empfehlen. Unser Autor, Ministerialbeamter und ausgewiesen im Verfassungsrecht, unternimmt es, die herrschende neoliberale Politik am unveränderbaren Kern des Grundgesetzes zu messen. Sein Befund bestätigt die häufig diffuse Vermutung, dass die neoliberalen “Reformen†auf eine andere Republik zielen.
Der Neoliberalismus will die Marktkräfte von allen “Fesselnâ€, Verantwortlichkeiten und Rücksichten befreien. Deshalb muss er den sozialen Rechtsstaat bis zur Wirkungslosigkeit aushöhlen. Wieland Hempel belegt, dass die “Erfolgsbilanz†der neoliberalen Politik in Deutschland kein Zufall ist, sondern einer langfristigen Strategie folgt. Er bezieht den Kulturbruch, den der Neoliberalismus für die deutsche Gesellschaft darstellt, in seine verfassungsrechtliche Kritik ein und sucht nach den geistes- und sozialgeschichtlichen Voraussetzungen dieser Entwicklung.
Unser Autor plädiert für eine argumentativ wohl begründete Verteidigung des Grundgesetzes gegen seine Verächter - auch gegen die gutgläubig Verfassungsvergessenen. Er hofft, dass die Delegitimierung der neoliberalen Machtelite die Abwehrkraft der Mehrheitsgesellschaft stärkt. (mehr…)
Im Reich der Legenden
“MACHTERGREIFUNG” ODER GEZIELTE MACHTÃœBERGABE
Hitlers Weg in die Wilhelmstraße begann 1932
Wenn ein historisches Ereignis beispiellose Folgen hat wie jenes vom 30. Januar 1933 in Deutschland, dann entsteht um die Ãœbernahme der Verantwortung kein Gedränge. Wer kann, macht sich - vulgo - dünne. Besser noch, er sucht und findet einen “Stellvertreter”. Genau der wird von einer einflussstarken Richtung in Publizistik und Geschichtswissenschaft seit Jahrzehnten präsentiert. Zugeeignet wird diese Rolle, wie manches unverlangt schon vorher, “dem deutschen Volk”. Das soll, befand in einer Feierrede anlässlich eines Jahrestages auch ein (west)deutscher Bundespräsident, Hitler gewählt haben.
Diese Version entsprach übrigens mit geringfügiger Abweichung der Legende, die Hitler von seinem Aufstieg selbst verbreitet hatte. Aus dem Volke sei er hervorgegangen, von ihm gefunden und auserwählt worden, wie er sich dieses Volk gewählt habe. So hat er das zum “Wunder” erklärte Geschehen mehrfach in Massenversammlungen erzählt. Ich bin bis heute den Text aus meinem Kopfe nicht losgeworden, den ich dereinst im Deutschunterricht zu lernen hatte: “im Volke geboren, erstand uns ein Führer …” (mehr…)
Freiwillige vor für das Bürgeropfer!
Der Staatsrechtler Otto Depenheuer, dem Wolfgang Schäuble zugeneigt ist, propagiert das Feindstrafrecht, für das Feinde “Unpersonen” sind
Innenminister Wolfgang Schäuble hat ein Buch des Staatsrechtlers Otto Depenheuers empfohlen, der im Kampf gegen Terroristen wahrhaft brachiale Mittel für angebracht und nötig hält. Das Buch mit dem Titel “Selbstbehauptung des Rechtsstaates” hat viele Rezensenten (1) entsetzt (2). Was keiner von ihnen berichtete: Es geht darin nicht nur um die angemessene Reaktion auf terroristische Anschläge, sondern Depenheuer propagiert ein obrigkeitsstaatliches Verhältnis zwischen Souverän und Staatsbürgern und “Bürgeropfer”.
“Lesen Sie einmal das Buch ‘Selbstbehauptung des Rechtsstaats’ von Otto Depenheuer und verschaffen Sie sich einen aktuellen Stand zur Diskussion.” Wolfgang Schäuble antwortete ausweichend auf die Frage, wie weit denn der Staat im Kampf gegen den Terror gehen dürfe – Stichwort Guantánamo. Nachdem das Interview im August in der “Zeit” erschienen war, taten zahlreiche Rezensenten genau das – und waren entsetzt. Denn Otto Depenheuers Antwort auf diese Frage lautet schlicht: Steht das Recht selbst auf dem Spiel, darf der Staat alles.
Denn der Kölner Staatsrechtler (3), übrigens auch ein aktiver Organist und Kirchenmusiker, wähnt in “Selbstbehauptung des Rechtsstaates” die Bundesrepublik Deutschland bereits im Ausnahmezustand. Mit den Anschlägen am 11. September 2001 wurde seiner Ansicht nach “ein neues Kapitel der Weltgeschichte aufgeschlagen” und “die Menschen des westlichen Kulturkreises (…) mit der Realität eines weltweiten Bürgerkrieges konfrontiert”. Zwischentöne finden sich in dieser Darstellung nicht, der Kampf der Kulturen droht nicht nur, sondern ist bereits im vollem Gange, und der “Krieg gegen den Terror” “eine Konstante der Politik der nächsten Jahrzehnte”. (mehr…)
Monopoly mit dem Weltklima
In Bali wird derzeit ein Nachfolge-Abkommen für das Kioto-Protokoll verhandelt. Möglichst viele Staaten sollen verbindliche Grenzen für den Ausstoß von Treibhausgasen akzeptieren. Der Emissionshandel gilt als geeignetes Mittel, aber marktliberale Mechanismen verkehren die gute Absicht in ihr Gegenteil
Le Monde diplomatique, von Aurélien Bernier
Die ersten wirtschaftswissenschaftlichen Arbeiten, die eine Art Umweltsteuer ins Gespräch brachten, erschienen im Jahr 1920. Damals publizierte der britische Ökonom Arthur Cecil Pigou sein Buch “The Economics of Welfare” (”Ökonomie der Wohlfahrt”), das sich mit den “Externalitäten” oder “externen Effekten” in den Bereichen Produktion und Konsum befasste. Als Beispiel behandelte Pigou die Wald- und Feldbrände entlang den Eisenbahnlinien, verursacht von glühenden Kohlestücken, die aus den Schornsteinen der damaligen Dampfloks herausgeschleudert wurden. Pigou glaubte, dass eine Steuer, die man der Eisenbahngesellschaft zur Kompensation der angerichteten Schäden auferlegen müsste, zur Erfindung von Vorrichtungen gegen Flugasche führen würde. Damit wurde erstmals das Verursacherprinzip, also “der Verschmutzer zahlt”, angesprochen.
Pigous Thesen wurden vierzig Jahre später von einem anderen britischen Ökonomen namens Ronald Coase kritisiert. Er lieferte - etliche Jahrzehnte vor Kioto - den umweltbelastenden Unternehmen, die sich der Sanktionsgewalt des Staats entziehen und alles “dem Markt überlassen” wollen, eine goldene Argumentationskette: Coase stellte die Wirksamkeit der Pigou’schen Steuern in Abrede, denn die Intervention des Staats habe stets Transaktionskosten zur Folge. Das ökonomische Optimum ergebe sich vielmehr aus direkten Verhandlungen zwischen den Geschädigten und der Eisenbahngesellschaft. Deshalb wäre es am besten, wenn dasselbe Unternehmen die Schienen und die an sie anschließenden Flächen besitzt, denn dann könnte sie das Problem auf dem Wege des internen Kostenausgleichs regeln. Nach diesem Coase-Theorem ist also aus ökonomischer Sicht die Definition von Rechten völlig belanglos: Die Frage, ob der Eigentümer der Felder und Wälder das Recht habe, nicht durch Brände geschädigt zu werden, sei ebenso irrelevant wie die Frage, ob die Eisenbahngesellschaft das Recht habe, solche Schäden zu verursachen. (mehr…)
Eine persönliche Botschaft von Noam Chomsky zu ZNets dringendem Spendenaufruf
Wir leben in einem Zeitalter der Medienkonzentration An vielen Fronten (politisch, ökonomisch, militärisch ideologisch) wird massiv versucht, staatliche und private Mach von einer kritischen Debatte zu isolieren - ja von öffentliche Bewusstsein - um die Bürger zu atomisierten Kreaturen z machen, darauf beschränkt, ‘geschaffene Bedürfnisse persönlicher Art zu befriedigen. Diese Kampagne ist koordinier und massiv und zeigt teilweise schon Erfolg, aber eben nu teilweise.
Denn auch der populäre Aktivismus nimmt weltweit zu - was seine Leidenschaft, Reichweite und sein Ausmaß angeht: Internationale Solidarität und wechselseitige Unterstützung waren noch nie so groß. Die Grundkonflikte sind uralt, nehmen aber neue, signifikante, dramatische Formen an. Es steht viel, viel mehr auf dem Spiel als jemals zuvor. Leider ist es keine Ãœbertreibung, dass das Ãœberleben der menschlichen Spezies - und damit auch vieler anderer Arten - auf dem Spiel steht. Wir alle kennen die Gründe. (mehr…)
Weder tot noch lebendig
EU-Verfassung: Nach dem Reformvertrag von Lissabon steht ein von den Bürgern geschriebenes europäisches Grundgesetz erst recht auf der Tagesordnung
Nach der Ablehnung in Frankreich und den Niederlanden 2005 lag die EU-Verfassung auf Eis, bis 2007 unter deutscher Ratspräsidentschaft jene Elemente des Verfassungsvertrages ausfindig gemacht wurden, die Aufnahme in ein erneuertes Vertragswerk fanden. Den so entstandenen Reformvertrag haben die EU-Regierungschefs am 13. Dezember 2007 in Lissabon unterzeichnet. Nun muss das Dokument von allen 27 Mitgliedsländern ratifiziert werden. Einzig in Irland ist dazu ein Referendum vorgeschrieben - in den anderen EU-Staaten scheut man nach der Erfahrung des Jahres 2005 Volkes Stimme.
Eine Verfassung für Europa soll in Kraft treten, die nicht so genannt werden darf und wohl auch nicht sollte, weil ihr das neoliberale Paradigma gleichsam als Fundamentalnorm eingeschrieben ist. Der Bielefelder Jurist Andreas Fisahn schrieb in dieser Zeitung (Freitag 26/07): “Diese Fixierung auf Marktradikalität widerspricht den demokratischen Normen von Politik, die stets die Möglichkeit zum Richtungswechsel offen halten - laut Verfassung ist der weitgehend ausgeschlossen. Folglich bleibt das Parlament machtlos, bleibt es beim bekannten Demokratiedefizit, bleibt die Kommission das Exekutivorgan der Interessenten und Nutznießer dieser ‘offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb’, die von allen sozialen und demokratischen Bindungen befreit ist.” (mehr…)
Gewalt gesichert
Die Demonstrationen gegen den G-8-Gipfel 2007. Ein Resümee des Berichts, den das Komitee für Grundrechte und Demokratie jetzt vorlegte
Das demonstrative Geschehen vom 2. bis 8. Juni wurde mit einer Riesendemonstration und Versammlung am 2. Juni im Rostocker Hafen eröffnet. 80.000 Menschen trafen sich dort, um die herrschende Form der Globalisierung zu kritisieren. Die Eröffnungsversammlung war noch nicht zu Ende, da hallte der Gewaltruf durch die Medien; wurden Bilder gewaltsamer Auseinandersetzungen übers Fernsehen in die Wohnzimmer geflimmert; wurde der Vorwurf, Teilnehmer an der Versammlung seien gewalttätig, mündlich und zeitungsschriftlich verbreitet. Nicht wenige Vertreter selbst von den Gruppen, die die Versammlung organisiert hatten, sprachen sich gegen diejenigen pauschal aus, die Gewalt geübt hätten. Die Polizei meldete Hunderte teilweise schwer verletzter Polizeibeamter. Teilnehmende an der Versammlung wurden als ertappte oder vermutete »Gewalttäter« festgenommen. Die Polizeiführung, konzentriert in der Sonderbehörde »Kavala«, erklärte zugleich, sie habe durchgehend eine »Deeskalationsstrategie« verfolgt. Sie werde trotz der negativen Ãœberraschung durch »Gewalttäter« daran festhalten. Um dem Versammlungsverlauf gerecht zu werden und beurteilen zu können, welche Behauptungen zutreffen, hat die Beobachtergruppe des Komitees für Grundrechte und Demokratie zweierlei getan. Sie hat zuerst die Vorgeschichte der Junitage von Rostock und Heiligendamm untersucht. Sie hat die Berichte, die die Beobachter gegeben haben, als dichte Beschreibung des Geschehens am 2. Juni und der folgenden Tage bis zum 8. Juni komponiert. (mehr…)
dazu mehr: G-8-Razzia war Willkür - Von Frank Brendle
EU-Reformvertrag? - Diktaturverfassung!
 Von Professor Albrecht Schachtschneider
Genau genommen schafft der neue Artikel 33 Absatz 6 des Verfassungsvertrages über die EU eine Diktaturverfassung. Er ermächtigt den europäischen Rat, die Staats- und Regierungschefs mit dem Präsidenten der Kommission, dem Präsidenten des Rates die gesamten Regelungen eines bestimmten Teils, die gesamten innenpolitischen Regelungen, die Wirtschaftsverfassung, die Sozialverfassung, die Währungsverfassung, aber auch die Verbraucherregelungen, die Umweltregelungen und den gesamten Bereich des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts. Das ist das Polizeirecht und das Strafrecht und viele andere Bereiche mehr. Praktisch die gesamten Politikbereiche außer der Außenpolitik ganz oder zum Teil zu ändern. Nur durch Beschluss. Das Europäische Parlament wird dabei nur angehört, die Mitgliedsstaaten müssen nach ihren Verfassungen zustimmen, aber das bedeutet nur, dass die Regierungschefs zustimmen müssen. Nach der Regelung ist es völlig klar, dass die nationalen Parlamente an diesem Verfahren nicht beteiligt werden. (mehr…)
“Gerade das vermeintlich Unpolitische ist in höchstem Grade politisch”
Interview mit dem Soziologen Bernd Hamm über die zunehmende Ideologisierung der Medien
Bernd Hamm (1) ist Professor für Siedlungs-, Umwelt- und Planungssoziologie an der Universität Trier und gibt im Kai Homilius-Verlag (2) die Reihe “Globale Analysen”. Seine letzten Bücher waren “Gesellschaft zerstören - der neoliberale Anschlag auf Demokratie und Gerechtigkeit” (2004) und “Die soziale Struktur der Globalisierung” (2006). Demnächst erscheint von ihm “Kulturimperialismus: Beiträge zur politischen Ökonomie kultureller Herrschaft”. In dem Essay “Medienmacht– wie und zu wessen Nutzen unser Bewusstsein gemacht wird” (3) zeichnet er die Entwicklung der Medien seit den Siebziger Jahren nach und kommt zu dem Schluss, dass mit der zunehmenden Privatisierung und Kommerzialisierung der Medien die Selbstaufklärungsmechanismen der Gesellschaft in steigenden Maßen versagen. (mehr…)
Neoliberaler Kolonialismus
Die USA und die militärische Ausweitung und Absicherung der Globalisierung
Spätestens mit der 1960 von der UNO Generalversammlung verabschiedeten Resolution 1514 und ihrer Forderung, “den Kolonialismus in allen Erscheinungsformen schnell und bedingungslos zu beenden”, schien dieser endgültig auf dem Scheiterhaufen der Geschichte gelandet zu sein. Die Resolution sicherte allen Mitgliedern des internationalen Systems - zumindest auf dem Papier - die volle und uneingeschränkte Souveränität zu, jegliche formelle Einschränkung staatlicher Selbstbestimmung und Unabhängigkeit war seit dem lange Zeit undenkbar geworden. Hiermit ging jedoch keineswegs ein Ende von Armut und Unterdrückung einher, wie so viele gehofft hatten. Denn es gelang den reichen Industrienationen, allen voran den Vereinigten Staaten, die bestehenden Hierarchie- und Ausbeutungsverhältnisse fortan auf indirektem Weg über das Weltwirtschaftssystem und die von ihnen kontrollierten Internationalen Organisationen nicht nur zu erhalten, sondern sogar noch weiter auszubauen. “Die alten Kolonien hatten formell die staatliche Unabhängigkeit erlangt und waren Mitglieder der UNO geworden. An die Stelle der alten, direkten politischen Herrschaft durch die Metropole traten jetzt neue Formen der indirekten und informellen Herrschaft.”1[1] So besehen bestand auch kaum eine Notwendigkeit - gelegentliche militärische Strafaktionen natürlich nicht ausgeschlossen - weiterhin in großem Umfang auf direkte Herrschaftsmechanismen zurückzugreifen.
Diese Phase des informellen “Imperialismus ohne Kolonien” (Harry Magdoff) neigt sich jedoch dem Ende zu. Bereits vor über zehn Jahren lieferte Oberstleutnant Reinhard Herden, damals Bereichsleiter für Analysen und Risikoprognosen des Amtes für Nachrichtenwesen der Bundeswehr, einen Blick in die Kristallkugel, indem er unter dem Verweis, er referiere die Ergebnisse aus seinen Gesprächen mit der amerikanischen “Military Intelligence Community”, folgendes Zukunftsszenario entwarf: “Das 21. Jahrhundert wird die Ära eines neuen Kolonialismus sein. [...] Dem Wettbewerb nicht gewachsene Regionen werden untergehen. Die Kolonien der Zukunft werden vor allem Ressourcenlieferanten und Absatzmärkte für die Kolonialmächte sein. Die politische Führung und danach das Militär der reichen Länder treten nur dann in Aktion, wenn ihre wirtschaftlichen Interessen durch illegale Praktiken oder die Ausübung von Gewalt beeinträchtigt werden - nationale Interessen sind heutzutage in erster Linie wirtschaftliche Interessen.” (mehr…)