Mit dem Sozialstaat stirbt die Demokratie
Eine Erinnerung an die Weimarer Republik
Unterschiede und Gemeinsamkeiten mit der Situation von heute.Â
Von Christoph Butterwegge
Frankfurter Rundschau 03.04.2005
In der Weimarer Republik erlebte der Sozialstaat zuerst einen bis dahin nicht gekannten Aufschwung. Während der Weltwirtschaftskrise gegen Ende der 20er-/Anfang der 30er-Jahre wurden er und mit ihm die Demokratie aber schrittweise zerstört. Wie die steigende Massenarbeitslosigkeit, mehr noch jedoch der Abbau des Sozialstaates die junge Republik untergruben, stellt ein Lehrstück historisch-politischer Bildung dar.
Weimar erlebte zunächst einen Siegeszug des Sozialstaates, vor allem im Hinblick auf den öffentlichen Wohnungsbau, die Entwicklung des Gesundheitswesens und die Ausweitung der Sozialversicherung. An die Stelle der Kriegswohlfahrtspflege trat nach dem Ersten Weltkrieg die Erwerbslosenfürsorge. Die an das Fragebogen-Verfahren beim Arbeitslosengeld II erinnernde Bedürftigkeitsprüfung erfasste nicht nur den Antragsteller, sondern auch mit ihm in einer Wohnung zusammenlebende Verwandte, die nach geltendem Recht gar nicht zum Unterhalt verpflichtet waren. Dadurch wurden keineswegs die Familienbande gestärkt, wie man amtlicherseits hoffte, sondern umgekehrt eher zerstört: Besonders jüngere Arbeitslose, denen man die Unterstützung kürzte oder versagte, zogen von zu Hause aus. (mehr…)